■ Rußland: Wahlkampf mit allen Mitteln
: Knoblauch, Butter und Geisterfahrer

Moskau (taz) – Die letzen Wochen bescherten Rußland den ersten richtigen Wahlkampf seit 70 Jahren und den hiesigen Kitschliebhabern eine reiche Ernte. Die exquisiteste Fernsehwerbung lieferte diesem noch bewußt im Landleben wurzelnden Volke der Wahlblock von Parlamentssprecher Iwan Rybkin. In dessen Clip steht ein schwarzweiß gefleckter Ochse neben einer ebensolchen Kuh. „Hast du“, fragt der Ochs, „schon mal Butter gegessen?“ Und als die Gescheckte verwundert den Kopf schüttelt, fragt er: „Wo bleibt denn da die soziale Gerechtigkeit?“ Flugs zaubert er einen Klumpen Butter herbei, und während sie den genüßlich aufleckt, kommentiert er: „Siehst du, das ist Gerechtigkeit!“

Daß sie ihre eigenen Absonderungen konsumiert, dürfen wir getrost auch der erstmals kandidierenden Wunderheilerin Djuna Davitaschwili unterstellen. Weil sie – im Gegensatz zu den meisten Parlamentsanwärtern – auf die Hilfe hausfremder Astrologen und Bioenergetiker verzichten kann, spart sie viel Geld. Nach Berichten der statistischen Wochenzeitung Argumenty i Fakty stiegen bei den Esoterikern in dieser Saison die Preise auf 400 Dollar pro Sitzung. Trotzdem befragte die Zeitung einige bekannte Meister des Faches zum Wahlausgang.

Schwarz sahen die Hellseher, entgegen allen Meinungsumfragen, für den Vorsitzenden der Kommunistischen Partei, Gennadij Sjuganow. Dessen Karma lasse sehr zu wünschen übrig. Gut kamen in diesen Prognosen dagegen Ministerpräsident Tschernomyrdin, der liberale Jabloko-Chef Grigori Jawlinski und Rußlands „Führer“ Wladimir Schirinowski weg. Nur der Wahrsager Andrej Borissow mochte Schirinowskis Aura nicht zu durchdringen. Er vermutet deshalb, daß dieser sich vor jeglicher Magie mit einem alten russischen Hausmittel schützt: Wodka, mit Knoblauch angesetzt.

Natürlich lassen die Deputierten in spe ihre Konkurrenten auch verhexen. In den letzen vierzehn Tagen rasten bespielsweise Kandidaten vermehrt in den Gegenverkehr oder wurden von den eigenen Bodyguards angeschossen. Grigori Berjoskin, Kandidat in einem der Moskauer Wahlkreise, macht noch andere Gründe für diese Vorkommnisse geltend. Ein Mafia- Clan, so Berjoskin, habe ihm eine Auswahl von Dienstleistungen zwecks Hebung der eigenen Popularität angeboten. Zur Wahl stünden unter anderem inszenierte Autounfälle, Prügeleien oder Explosionen im Hauptquartier des Kandidaten. Auch die Entführung eines nahen Familienmitgliedes wird geboten. Der Preis hängt vermutlich davon ab, ob man den oder die Betreffende wieder zurückhaben möchte. Barbara Kerneck