Astro-Show

Der Griff nach den Sternen wird im belgischen „Euro Space Center“ Transinne stilecht simuliert  ■ Von Torsten Schubert

Hauptsache lächeln! Während die Euronauten in spe um ihre eigene Achse rotieren, dürfen sie sich keine Schwäche anmerken lassen. Das Publikum – abenteuerlustige Urlauber wie sie – beobachtet sie unerbittlich. Jeder verzogene Mundwinkel wird als Versagen gedeutet. Insoweit ähneln die Besucher des „Euro Space Center“ im belgischen Transinne den ersten Astronauten.

In einer großen Turnhalle stehen die Geräte für den Raumflug: ein Fahrradsitz hängt an starken Federn von der Decke, ein rundes Alugestell erinnert an die Kabine eines sich überschlagenden Karussells auf dem Jahrmarkt. Das originalgetreue Modell eines „Space Shuttle“ hat nicht genügend Platz gefunden und konnte nicht vollständig montiert werden. Eine Waage gibt das Gewicht der Besucher auf allen Planeten des Sonnensystems an. Merkur, Mond und Mars sind das Paradies aller Dicken; Sonne und Jupiter hingegen das der Diätköche.

Die Eroberung des Weltraums beginnt im Keller. Hier bekommen die zukünftigen Euronauten einen blauen Overall verpaßt. Die Mitglieder eines Kegelvereins aus Herford fühlen sich dem Universum schon gleich ein Stück näher. „Hallo, Merbold!“ rufen sie sich in Anspielung auf den ersten deutschen Astronauten zu.

Das „Euro Space Center“, ein flacher, weißer Fertigbau, wurde im Juni 1991 eröffnet. Es gehört der italienischen Firma „Ciset“. Inzwischen haben sich im „Erlebnispark mit wissenschaftlichem Anspruch“ über 100.000 Besucher vergnügt. Die ursprüngliche Idee für diese ausgefallene Spielart der Weiterbildung stammt von Wernher von Braun. Der Erfinder der V2-Rakete (die im Zweiten Weltkrieg England vernichten sollte) und spätere Direktor der amerikanischen Weltraumbehörde Nasa wollte damit lernschwachen Physikschülern in den USA spannenden Nachhilfeunterricht geben. Neben Tagesprogrammen bietet das „Euro Space Center“ auch längere Aufenthalte für junge Leute an, um den Weltraum genauer zu erkunden. Für 700 Mark werden theoretische Seminare abgehalten und kleine Raketen gebaut. Höhepunkt ist der zweistündige Flug in einem Shuttle-Simulator.

Das Programm der Euronauten für einen Tag beginnt auf dem Mond. Wie sie dort hinkommen, spielt keine Rolle. Sie gehen halt einfach über eine kleine Treppe in die mit Linoleumboden ausgelegte Turnhalle und setzen sich auf eine Bank. Henriette Freitag erklärt ihnen, daß die Schwerkraft auf dem Mond ein Sechstel der Schwerkraft auf der Erde beträgt. Sie ist eine der „passionierten Profis, die ihr Wissen und ihre Leidenschaft für die Raumfahrt mit den Besuchern teilen wollen“, wie es in einer Broschüre des „Euro Space Center“ heißt. Von Beruf ist sie Lehrerin – und natürlich hat sie noch nie auf der Spitze einer Rakete gesessen, die unter ihr gezündet und in den Weltraum geschossen wurde.

Der erste Euronaut stellt sich breitbeinig über den Fahrradsitz, der langsam hochgefahren wird, bis der Mann nur noch auf den Zehenspitzen hängt. „Springen!“ ruft Frau Freitag – und er hüpft wie ein Känguruh, immer wieder von den starken Federn nach oben gezogen. So sprang auch Neil Armstrong, der erste Mensch auf dem Mond, 1969 vor Millionen von Fernsehzuschauern. Der Eiertanz heißt passend „Moon Walk“. Das Ballett in Zeitlupe ist nicht nur für die Zuschauer lustig. „Einmal schwerelos“, schwärmt der kräftige Bayer Robert Baumgärtel.

Juchhei, das „Euro Space Center“ ist ein Spaß! Die Eroberung des Weltraums ist – fast ein halbes Jahrhundert nach seinem Beginn – so weit fortgeschritten, daß die Tests der Astronauten als Abenteuerurlaub angeboten werden können. Natürlich für jedermann verträglich. Niemand wird in einem riesigen Menschen-Milchshake festgeschnallt, der den Körper in gewaltige Schwingungen versetzt, und mit überlauten Geräuschen bombardiert. Das mußten noch die Astronauten des Merkur-Programms über sich ergehen lassen, die als erste Amerikaner in den Weltraum fliegen sollten.

Selbst die „Wilde Bulldogge“, die einen gleichzeitig um alle drei Achsen, die Quer-, Längs- und Hochachse, wirbelt und für die Astronauten so fürchterlich war, daß sie nicht oft benutzt wurde, ist gezähmt. „Multi Axes“ heißt das Gerät hier – und die Besucher drängeln sich, um es auszuprobieren. Sie kriegen einen Helm auf, werden festgeschnallt und sollen einige Linien nachzeichnen, während sie um alle Achsen wirbeln. Alle schaffen es locker, weil der Motor das Gestänge nur mit geringer Kraft antreibt. Zwar überschlagen sich die Hobbyraumfahrer manchmal recht schnell, aber selbst das ist noch eine Gaudi. Sie bekommen eine Ahnung vom Astronautentraining, ohne in die Verlegenheit einer haltlosen Übelkeit zu geraten.

Die Astro-Tour wird im Kino zur Show. Ein Trickfilm simuliert ein Raumschiff-Rennen. Hindernisse rasen auf die Euronauten zu, es wird gerempelt und geht in Steilkurven. Alles in einer irrsinnigen Geschwindigkeit – und die Sitze im Kino werden hydraulisch bewegt, sacken weg, heben ab, bis die Illusion perfekt ist und jeder daran glaubt, tatsächlich in dem superschnellen Raumschiff zu sitzen, das gerade durch eine Feuerwand stürzt. Wer eine Herzschwäche hat oder ein Rückenleiden, darf nur auf den bewegungslosen Stühlen Platz nehmen.

Nach der Landung gibt es deftiges Mittagessen in der Kantine. Steaks, Pommes frites und Salat. Rudolf Spalding und Rudolf Zimnik vom deutschen Reiseveranstalter „Ameropa“, die Clubtouren zum „Euro Space Center“ veranstalten, haben sich mehr von der Astro-Show versprochen. „Für uns hat das ganze Programm zuviel Jahrmarktcharakter“, geben sie zu, „aber ab und zu haben wir doch Wissenswertes über den Weltraum erfahren.“ Ein Herforder Kegelvereinsbruder beurteilt das Space Center pragmatisch: „Es ist nicht der Renner. Doch immerhin konnten wir selbst aktiv sein.“

Der Drehsitz ist nach der Nahrungsaufnahme eine echte Herausforderung. In der engen Röhre einer Raumstation werden die Raumfahrteleven nacheinander eine knappe Minute lang in mäßigem Tempo gedreht und sollen anschließend vor einem Spiegel ein Labyrinth nachzeichnen. Einige schwanken dabei, andere schaffen das ganz locker. Frau Freitag erklärt, „warum uns schwindelig wird, wenn wir kreisen“: Das Gleichgewichtszentrum im Gehörgang wird gestört. Doch interessanter ist der silberne Sack, der in einer Abstellkammer hängt. Eines der Betten der Astronauten. Da es im schwerelosen Raum weder oben noch unten gibt, können sie in diesem Sack bequem schlafen. Auf der Erde fühlen sich die Euronauten eher wie im Beutel eines Känguruhs.

Ein Flug im Shuttle-Simulator steht für Tagesgruppen nicht auf dem Plan. Neugierig schauen sich die Euronauten die Instrumente im Innern nur an – gelegentlich mit Wehmut. Einmal die Erde verlassen, und sei es auch nur per Computerspiel! Danach erklimmen sie das „Space Shuttle“-Modell, wo ihnen die Simulatoren für Weltraumreparaturen gezeigt werden. Schließlich recken sie die Hälse im Planetarium zum Film über das Sternensystem.

Die Landung ist genauso unspektakulär wie der Start. Die Overalls werden im Keller ausgezogen. „So schnell kann ein Raumflug zu Ende sein“, bedauert eine Teilnehmerin. Als Mitbringsel bekommen alle den „Euronautenflügel“, eine hellblaue Urkunde mit dem Logo des „Euro Space Center“ und dem Schriftzug von „Ameropa“ unter dem eigenen Namen.