Haiders Kunst

FPÖ-Chef Jörg Haider kämpft gegen eine angebliche „kulturelle Hegemonie“ der Linken. Er gibt vor, die Kunst „entpolitisieren“ zu wollen  ■ Von Isolde Charim

Alles, was auf die öffentliche Meinung einwirkt oder einwirken kann, gehört dazu: die Bibliotheken, die Schulen, die verschiedenen Zirkel und Clubs bis hin zur Architektur, der Anlage von Straßen und deren Namen.“Antonio Gramsci

Wieso spricht Jörg Haider eigentlich von „Hegemonie“, wenn er von Kultur redet? Was veranlaßt ihn, sich – explizit – des Begriffs eines marxistischen Theoretikers, Antonio Gramscis, zu bedienen?

Wenn Haider den Terminus „Hegemonie“ verwendet, so tut er dies – nach seinen eigenen Worten –, um eine „Kompetenz der Herrschenden“ (profil 44/95) zu entlarven, die ihre Macht nach seiner Darstellung dazu mißbrauchen, Künstler durch geschickte Subventionspolitik unter Druck zu setzen beziehungsweise für sich einzuspannen.

Auf den ersten Blick hat das mit Gramscis Konzept nicht viel zu tun. Denn Gramsci entwickelt den Begriff der Hegemonie, um eine spezifische Form von Herrschaft zu bezeichnen, deren Besonderheit darin besteht, zwangfrei zu sein. Nach Gramsci ist die hegemoniale Herrschaft deshalb so effizient und so schwer zu erschüttern, weil sie einen – auch den Eigeninteressen entgegenstehenden – Konsens zu erzeugen vermag. Von Hegemonie ist also nicht zu sprechen, wenn Meinungen aufoktroyiert werden – wie Haider es insinuiert: Hegemonie und Zwang sind Begriffe, die einander ausschließen.

Trotzdem aber ist Haiders Rede von einer Hegemonie – die er übrigens erobern möchte – weder Irrtum noch Zufall. Sie entspricht vielmehr einem eindeutigen Konzept, das einem bestimmten anderen Aspekt von Gramscis Hegemonie (wenn auch in einer „Verkehrung ins Gegenteil“) verbunden ist. Was Haider dazu bewegt, von Hegemonie zu sprechen, ist sein spezifisches Politikverständnis.

Mit dem Konzept einer „ideologischen Herrschaft“ im Kulturellen reformuliert Gramsci den Begriff des Staates. Mit der „Hegemonie“ erweitert sich die Bühne des Politischen: Auch Kunst und Kultur erweisen sich als Herrschaftsbereiche. Zum Staat im engeren Sinne tritt die Sphäre hinzu, in der jene andere Art von Herrschaft ausgeübt wird, die Zivilgesellschaft. Deshalb lautet Gramscis Formel für den erweiterten Staat, für die Verdoppelung des Politischen: „Hegemonie, gepanzert mit Zwang“.

Auch in Haiders Politikverständnis scheint es zwei Ebenen des Politischen zu geben: die Unterscheidung zwischen Volkszugehörigkeit und Staatszugehörigkeit; die Diskussion um den 26. Oktober – Staats- oder Nationalfeiertag; die Reduktion der Republik Österreich auf eine Staats-, im Unterschied zu einer ethnischen Nation (in seiner Rede zum 26. Oktober 1993); die Bezeichnung der österreichischen Nation, gerade aufgrund dieser Reduktion auf ein Staatsvolk, als „Mißgeburt“...

Jörg Haider hat ein anderes, ein weiteres Politikverständnis als ein staatliches im engeren Sinn: Er versucht Politik über den rein staatlichen Bereich hinaus auszudehnen. Dieser „Überschuß“ ist es auch, den er in seinen Wahlslogans („Sie sind gegen ihn, weil Er für Euch ist“ (1994); „Er hat euch nicht belogen“ (1995) inszeniert. Hier spricht nicht der Politiker zum Staatsbürger. „Er“ hat zu „Euch“ nicht erst den Abstand einer delegierten Repräsentation zu überwinden, denn „Er“ ist bereits Teil „Eurer“ Gemeinschaft.

Und genau darum geht es auch, und gerade mit der Rede von der „Hegemonie“, die es den „linken Kulturterroristen“ zu entreißen gelte. Denn – wie Gramsci – erweitert Haider den Bereich des Politischen, treibt ihn über das rein Staatliche hinaus. Aber – anders als bei Gramsci – bilden nicht Staat (im engeren Sinne) und Zivilgesellschaft, sondern Staat und Volksgemeinschaft (die hier bezeichnenderweise nur noch als Volks- und Kulturgemeinschaft auftritt) das Ganze des politischen Feldes, in dem Jörg Haider agiert.

Die Ebene des Staates beruht in letzter Instanz auf der Verfassung. Die Ebene der Volksgemeinschaft hingegen ist weder durch die Verfassung gestützt noch auf staatlicher Ebene realisierbar (ein solcher Versuch würde gegebenenfalls unter das Wiederbetätigungsverbot fallen). Haiders jüngste Absage an die „Deutschtümelei“ ist zwar ein Abschied von der Idee eines Anschlusses, nicht aber ein Abschied von einer Volksgemeinschaft deutscher Österreicher, die nur als Kulturgemeinschaft existieren kann.

Der Traum von der Volksgemeinschaft

Die Volksgemeinschaft ist aber – im Gegensatz zu ihrem Selbstverständnis – keine gegebene, sondern eine herzustellende. „Blutsbande“ müssen erst kulturell angeeignet werden, um zu organischen, natürlichen Bindungen zu werden.

Die Tatsache, daß die Volks- und Kulturgemeinschaft erst hergestellt werden muß, verleiht der Kunst und der Kultur im allgemeinen ihre Wichtigkeit für die Neue Rechte: Da die Volksgemeinschaft nunmehr nur nichtstaatlich existieren kann, muß sie vorwiegend auf kultureller Ebene, als Kulturgemeinschaft, realisiert werden. Das Volkstum, das nur im Brauch existieren kann, macht den Nebenschauplatz „Kultur“ zum wesentlichen „Ort und Einsatz“ einer Politik der Gemeinschaft.

Deshalb spricht Jörg Haider von „Hegemonie“, wenn er von Kultur spricht: Einerseits ist das die Einsicht in die wesentliche Bedeutung, die die Kultur für die Staatsmacht hat. In diesem Sinne sind Haiders witzige Bemerkungen gegenüber der Presse („Wenn ich Kulturminister bin“) auch ernst zu nehmen.

Die Hegemonie erobern heißt für ihn nicht, die Vorherrschaft innerhalb der Zivilgesellschaft zu übernehmen, sondern vielmehr die Zivilgesellschaft durch eine ethnische Gemeinschaft zu ersetzen. Hier greift Haider Gramscis These auf, indem er sie verkehrt: An die Stelle des Staates, der auch den Bereich des Nichtstaatlichen umfaßt, setzt Haider auf die Gemeinschaft, die auch das Nichtgemeinschaftliche – den Staat im engeren Sinne – bestimmt. Innerhalb dieser Verkehrung wird Hegemonie zur Zerstörung der Zivilgesellschaft. Haider propagiert seine Hegemonie als Zurückdrängung des Politischen. Die Kunst soll dem erweiterten Politischen entrissen werden.

Das aber ist der Punkt, an dem eine konservative Kulturkritik Haiders wechselndem Spiel mit dem Begriff des Politischen erliegt und sich zu Unrecht mit ihm identifiziert: Denn Kultur entpolitisieren heißt hier nur, sie zu „entstaatlichen“, sie unpolitisch im staatlichen Sinne zu machen – nicht aber im Sinne der Volksgemeinschaft. Haiders vorgebliche Entideologisierung der Kunst ist gerade deren Reideologisierung als Stütze der Gemeinschaft. Die geforderte Trennung von Kunst und Politik heißt: Trennung von staatlicher Politik, nicht aber von gemeinschaftlicher.

Von daher ist auch seine Polemik gegen die sogenannten „Staatskünstler“ zu verstehen: Vorgeblich dient ihm dieser Begriff zur Denunzierung einer unzulässigen Verbindung von Kunst und Politik. Als „Staatskünstler“ wird jener gekennzeichnet, der angeblich Kunst als Politik betreibt, im Gegensatz zu jenen nicht-politischen Künstlern, die unmittelbar Teil der Volksgemeinschaft sind. Wohl nicht zufällig ergänzt das Bild von „der Lederhose“ Klaus Maria Brandauers seine Vorstellung eines Kulturministers Haider.

Die „Freiheit der Kunst“, die den Gegenentwurf zum Staatskünstler bildet, meint frei vom Staat, nicht frei von der Kulturgemeinschaft. Der eigentliche Vorwurf an den sogenannten „Staatskünstler“ ist demnach nicht der, daß er politisch sei, sondern daß er es auf die falsche Art sei: Er produziere Konsolidierung auf der Ebene des Staates, nicht auf der Ebene des Volkes.

1994 ließ Haider den Slogan „Die Zukunft Österreichs ist unsere Kunst“ plakatieren. Dies war kein „absurder Versuch, seine Bewegung als ,Verfechter in der Kunst‘ zu profilieren“, wie Wolfgang Reiter in profil schrieb. Hier wurde vielmehr – in aller Vieldeutigkeit – Haiders Politik selbst als Kunst ausgewiesen.

Kunst heißt, Material zu formen und zu beherrschen. Politik, die ihr Projekt als ein künstlerisches begreift, überführt diesen schöpferischen Akt auf die Wirklichkeit: Ihr wird die Realität zum Rohstoff. Haider plakatierte, daß Österreich für ihn – zukünftig – zum formbaren Material werde. In diesem Sinne wird die Gestaltung der österreichischen Gesellschaft zur Volksgemeinschaft zu „seiner Kunst“, zur Verwandlung Österreichs in ein gigantisches Kunstwerk, ein „Staatskunstwerk“ (Boris Groys).

Der Begriff der „Staatskunst“ erhält hier eine völlig neue Bedeutung, ebenso wie der des Politikers: Als Künstler, der die Realität formt, als realer Schöpfer der österreichischen Wirklichkeit wird Haider selbst zum obersten „Staatskünstler“.

Offen bleibt die Frage, was mit der Kunst im engeren Sinn geschieht, wenn die Politik ihre Funktion usurpiert. Welches ist die „Kunst und Kultur“, die Haider liebt? Die angesprochene Lederhose allein kann die Liebe einer postmodernen Neuen Rechten nicht befriedigen. Traditionell ist eine Kultur der Gemeinschaft eine Kultur des Realismus gewesen. Was aber könnte Realismus heißen, wenn die Wirklichkeit – an der sich eine realistische Kunst orientiert, die sie kopiert – die Kunst Jörg Haiders wäre?