Österreichs spannendste Wahl

Bei den vorgezogenen Nationalratswahlen am morgigen Sonntag werden die meisten so abstimmen wie im letzten Jahr. Dennoch ist völlig offen, wer das Land künftig regiert  ■ Aus Wien Daniel Asche

Es sei die spannendste Wahl seit dem Krieg in Österreich, sagen die meisten Kommentatoren. Eine „Schicksalswahl“ sozusagen – noch nie sei so offen gewesen, wer das Land künftig regieren wird. Trotzdem werden die Österreicher bei der vorgezogenen Nationalratswahl am dritten Advent fast genauso wählen wie letztes Jahr. Das klingt zwar paradox, doch das sagen die Umfragen übereinstimmend. Die Sozialdemokraten werden mit etwa 34 Prozent ähnlich liegen wie im Vorjahr, ebenso die konservative ÖVP mit erwarteten 28 Prozent. Die Liberalen könnten mit 7 Prozent etwas besser abschneiden. Nur die Grünen scheinen Stimmen zu verlieren, sie müssen um den Einzug ins Parlament fürchten. Einziger sicherer Gewinner: Jörg Haider wird mit etwa 26 Prozent vermutlich deutlich dazugewinnen.

Alles hängt an einem Drittel der Wähler, die sich noch nicht entschieden haben – und an Wolfgang Schüssel, dem Chef der konservativen Volkspartei ÖVP. Er wird sich vermutlich aussuchen können, ob er mit Unterstützung der rechtspopulistischen FPÖ Jörg Haiders Kanzler werden will. Das ist rechnerisch auch dann möglich, wenn Bundeskanzler Franz Vranitzky mit seiner SPÖ weiterhin stimmenstärkste Partei bleibt.

Vor 14 Monaten, bei der letzten Nationalratswahl, war das noch anders. Damals war klar, daß die Große Koalition aus SPÖ und ÖVP weiterhin regieren würde. Auch wenn das Ergebnis der SPÖ das schlechteste seit 1945 war – die Mehrheit der Partner war trotzdem satt.

Dann kam Wolfgang Schüssel, seit dem Frühjahr neuer Chef der Volkspartei und Vizekanzler. Von da an wehte in der Großen Koalition ein anderer Wind. „Ich will in Österreich die Nummer eins und Bundeskanzler werden“, gab Schüssel unmißverständlich zum besten. Wer das nicht ganz ernst nahm, wurde eines Besseren belehrt: Im Oktober kündigte Schüssel die Koalition. Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) fühlte sich verraten. Auch jetzt noch wird er nicht müde zu betonen: „Wir wollten diese Wahlen nicht.“ Das Klima zwischen den beiden Parteichefs ist seitdem vergiftet.

Umgerechnet vier Mark kostet der neuerliche Urnengang jeden Bürger, und das sei doch berechtigt, wenn man damit den Staatsnotstand vermeiden könne, sagt Schüssel bei jeder Gelegenheit. Schüssel gibt sich als Retter der Staatsfinanzen, ja der Staatsraison – ähnlich wie sich der „Freiheitliche“ Jörg Haider (FPÖ) gerne als Retter der unterdrückten kleinen Leute und als „Ausmister“ im Privilegienstaat aufspielt.

Schüssel wolle nur Haider auf die sanfte Tour kopieren, lautet deshalb ein häufiger Vorwurf. Und wirklich, „Mascherl“, wie der schmächtige Konservative seiner obligaten Fliege wegen genannt wird, kann eines perfekt: Die Wähler immer wieder vergessen zu lassen, daß die ÖVP für die schlechte Haushaltslage des Landes mitverantwortlich ist – Schüssel selbst war sechs Jahre Wirtschaftsminister.

Vranitzky muß sich wohl oder übel fügen, obwohl er zum Wahlkampf zur Zeit wirklich keine Lust hat. Müde und ausgelaugt wirkt er bei seinen wenigen Auftritten, die Parolen auf den Plakaten sind auch nicht erfrischender. „Ich werde nicht zulassen, daß bestehende Pensionen gekürzt werden.“ Dies und ähnliches verkündet der neuerwachte Klassenkämpfer im dunkelblauen Anzug. Und von den selbstleuchtenden Werbetafeln an Straßenbahnhaltestellen mahnt er beschwörend: „Für Experimente ist unser Österreich zu schade.“ Das meint nach den letzten Umfragen auch wieder eine Mehrheit der Österreicher. Sicherheit steht für viele immer noch an erster Stelle, ein Haider in der Regierung scheint zu riskant: Die SPÖ ist seit einer Woche wieder im Aufwind. Gleichzeitig sinken die Führungschancen Schüssels, sein Wahlziel, die SPÖ zu überflügeln, wird er vermutlich nicht erreichen. Liegt die ÖVP unter 30 Prozent, erscheint auch die von vielen befürchtete ÖVP-Minderheitsregierung mit Haider-Unterstützung unwahrscheinlich. Dann gibt es entweder eine Ampelkoalition aus SPÖ, Grünen und Liberalen – oder eine Neuauflage der Großen Koalition.

Letzteres scheint Vranitzky vorzuziehen. Aus seiner Umgebung ist zu hören, daß er immer noch lieber mit dem geschmähten Schüssel als mit den Grünen zusammengeht. Nur werden sich dann die Wähler fragen, wozu überhaupt die Neuwahlen gut gewesen sind. Vranitzkys Lieblingsvariante ist deshalb ein Pakt der neuen Art: Große Koalition mit ihm selbst als Kanzler, Schüssel tritt ab, dafür werden die Lberalen an der Regierung beteiligt – mit der populären Heide Schmidt als Bildungsministerin. Für Schüssel wäre das allerdings das Ende seiner politischen Karriere. Ein Hilfsangebot von Jörg Haider könnte er da kaum ausschlagen.