Das Ende einer Bürgerrechtspartei

Mit dem Rücktritt von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger leitet die FDP einen Richtungswechsel ein: Die blau-gelbe Partei steht nur noch für Wirtschaftsliberalismus  ■ Aus Bonn Karin Nink

Bonn (taz) – Nein, ein Zeichen für eine Kursänderung der FDP sei das nicht. Die Entscheidung der Mitglieder habe nur gezeigt, daß die bisherige Beschlußlage zum Großen Lauschangriff „nicht im richtigen Kontakt“ zur Basis stand. Die Worte des FDP-Parteivorsitzenden Wolfgang Gerhardt am späten Donnerstag abend wirken fast beschwörend, so als wolle er wegreden, was er durch den Mitgliederentscheid selbst herbeigezaubert hatte: Das Ende der FDP als Bürgerrechtspartei. Die 1982 mit der „Wende“ eingeleite Kurskorrektur der Liberalen wurde am 14. Dezember 1995 Faktum. Da hilft auch die gebetsmühlenartige Wiederholung des Parteichefs nichts, der immer noch meint: „Die FDP ist und bleibt eine moderne Rechtsstaatspartei.“

Denn wer soll in Bonn noch für linksliberale Positionen eintreten, nachdem Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ihren Rücktritt erklärt hat, und Burkhard Hirsch sein Amt als innenpolitischer Sprecher der Fraktion zur Verfügung stellte. „Wer nicht länger den Schutz des Bürgers vor dem Staat, sondern den Schutz des Bürgers durch den Staat ins Zentrum liberaler Politik stellen will, der gibt im schlimmsten Fall den Liberalismus auf. Im besten Fall gibt er sich der Illusion hin, Liberalismus sei halbierbar.“ Diese Worte schrieb die scheidende Ministerin den Liberalen mit ihrer Rücktrittserklärung ins Parteibuch. Und damit sprach sie all jenen aus dem Herzen, die sich den linksliberalen Positionen der FPD nach wie vor verpflichtet fühlen. „Eine Partei kann nicht mit einem Flügel fliegen“, meint Hirsch. Und auch der ehemalige Innenminister Gerhard Baum spricht von einer „Richtungsentscheidung, die gewollt war“. Die Balance habe sich weiter zugunsten des Wirtschaftsliberalismus verschoben. Der FDP-Ehrenvorsitzende Otto Graf Lambsdorff spricht nun für die Mehrheit der Bonner Fraktion, wenn er fordert, die FDP müsse sich jetzt vor allem als Partei der Marktwirtschaft profilieren.

Baum will dennoch dem Aufruf von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger folgen, in dem sie alle Mitglieder auffordert, die FDP nicht zu verlassen. Und die Jungen Liberalen wollen sich dafür einsetzen, „daß es nicht noch in anderen rechtspolitischen Fragen zu einer Kursveränderung kommt“. Sie appellieren ebenfalls an die FDP- Mitglieder, nicht vorschnell aus der Partei auszutreten, und setzen weiterhin auf die in wenigen Jahren zur Galionsfigur avancierte Leutheusser-Schnarrenberger.

Doch selbst wenn die Mehrzahl der Angesprochenen dem Appell folgen wird, bleibt die Zukunft der FDP nach dem Ja zum Großen Lauschangriff ungewisser denn je. Eine Partei, die permanent die Fünfprozenthürde bekämpfen muß, vermittelt eine deutliche Todessehnsucht, wenn sie sich auch noch die Wähler verprellt, die Blau-Gelb gerade deshalb wählen, weil die Partei in ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl 1994 noch an den Bürgerrechts-Idealen festgehalten hat. „In einer Situation, in der es auf jede Stimme ankommt, kann man auch keine Politik gegen die 35,7 Prozent der Lauschangriffsgegner machen“, warnt Baum.

Schon jetzt ist die Abgrenzung zur Union in Fragen der Verbrechensbekämpfung nicht mehr erkennbar. Wer eine konservativere Rechtspolitik wünscht, kann und wird direkt für die Union stimmen. Die von Gerhardt herbeigeführte Klärung kann sich so schon bei den Landtagswahlen im März zu einem verheerenden Nullsummenspiel entwickeln. Immerhin geht es dann um die Fünf-Prozent-Hürde in Schleswig-Holstein, Rheinland- Pfalz und Baden-Württemberg.

Auch innerhalb der Bonner Regierung haben die Liberalen ihre Position deutlich geschwächt. Was wollen sie dem Partner noch abverlangen, wenn sie sich in strittigen Fragen mehr und mehr der Unions-Haltung anpassen. CDU- Generalsekretär Peter Hintze kann zu Recht feststellen: „Der Schulterschluß bei der inneren Sicherheit ist eine klare Demonstration für die weitere Arbeit der Koalition.“ Doch mit solchen Gedanken belasten sich die Gegner der Linksliberalen momentan nicht. Sie schwimmen auf der Siegerwelle. Schließlich haben Hermann Otto Solms, Detlef Kleinert, Heinz Lanfermann, Jörg van Essen und andere ihr Ziel erreicht: Die FDP hat ihre ablehnende Haltung zum Großen Lauschangriff aufgegeben. Und gleichzeitig wurden sie die ungeliebte, weil kritische Justizministerin los.

Van Essen, der Verfasser des Antrags für den Großen Lauschangriff, muß jedoch die Kröte schlucken, daß er trotz seiner konservativen Rechtspolitik nun doch nicht Minister werden darf. Dies wäre ein zu deutliches Signal für den Richtungsschwenk gewesen. Und auch seinen Mitautor Heinz Lanfermann, der ebenfalls Minister werden wollte, ereilte das gleiche Schicksal. So bekam der liberale, aber in Fragen der Verbrechensbekämpfung unerfahrene Professor für öffentliches Recht, Edzard Schmidt-Jortzig, den Zuschlag und wird neuer Justizminister in Rekordzeit. Gerade mal ein Jahr ist Schmidt-Jortzig Abgeordneter im Deutschen Bundestag.

Die Parteispitze will Lanfermann das Opfer etwas versüßen und ihn zum beamteten Staatssekretär machen. Gleichzeitig könnte man dem liberalen Schmidt-Jortzig einen rechtspolitischen Aufpasser zur Seite stellen, der die Notbremse zieht, sollte der neue Justizminister in Fragen der inneren Sicherheit nicht immer den Interessen der Fraktion folgen. Doch ganz so willig ist Lanfermann nicht. Den Job des beamteten Staatssekretärs lehnte er ab. Das würde nämlich bedeuten, daß er sein Bundestagsmandat zugunsten des jungen und manchmal zu liberal denkenden FDP-Generalsekretärs Guido Westerwelle aufgeben müßte. Und das will Lanfermann – auch im Einvernehmen mit seinem Fraktionschef Solms – verhindern. Karin Nink

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