„Zugriff erfolgt, wenn die Ware in Deutschland ist“

■ Aus den bisher geheimen BND-Dokumenten geht hervor, daß der Plutoniumdeal zwischen dem „Dienst“ und Staatsminister Schmidbauer wohlabgestimmt war

Am 22. Oktober 1993 kam um neun Uhr früh eine illustre Runde Geheimdienstexperten im Bundeskanzleramt zusammen. BND und Innenministerium wollten erweiterte Befugnisse erreichen, um tiefer ins Nuklearschmugglermilieu eindringen zu können. Rechtliche Beschränkungen sollten aufgehoben werden, aber laut Protokoll sollten zwei Bedingungen festgeschrieben werden: „Durch den Empfang und Transport einer nuklearen Materialprobe darf niemand gefährdet werden.“ Und daß der Erwerb „nicht dazu beitragen darf, einen künstlichen Markt für den Handel mit radioaktiven Stoffen zu schaffen oder zu fördern“.

Neun Monate später wurden solche Skrupel über Bord geworfen – vom bayerischen Landeskriminalamt, dem BND und dem Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt, Bernd Schmidbauer. Denn unter seiner Aufsicht verstieß der BND im Juli 1994 gleich gegen beide Gebote. Als Nachfrager für den strahlenden Stoff schuf der BND im kriminellen Milieu überhaupt erst einen Markt, und der eigens bestellte Transport in einer Lufthansa-Linienmaschine von Moskau nach München war riskant und menschengefährdend.

Aber der politische Erfolg vor den bevorstehenden Bundestagswahlen sei wichtig, hätte man „Rafa“ erzählt. „Herr Rafa“ jedoch sei „kein Mann, dem man glauben kann“, sagte Bernd Schmidbauer gestern vor der Presse. BND-Chef Porzner hat inzwischen Strafanzeige gegen Rafa erstattet. Schmidbauer sah sich gezwungen, im Bundeskanzleramt vor die Presse zu treten, denn auch Unionskreise zweifeln mittlerweile an seiner Redlichkeit im Dienst.

Aber auch seine gestrige Weißwaschung überzeugt nicht, zu viele Fragen bleiben ungeklärt. So hat Schmidbauer sicherlich mehr gewußt, als er zugibt, denn auf höchster Ebene war die Plutoniumaffäre zwischen den Spitzen des BND und dem Staatsminister im Kanzleramt wohlabgestimmt. Dies geht aus BND-Dokumenten hervor, die der taz vorliegen und die er selber gestern zum Teil verteilte. Mit Stolz wird der BND-Deal darin als „eigene Operation des Dienstes“ bezeichnet, bei der ein „herausragender Aufgriff“ möglich sei.

Laut BND-Unterlagen entwickelte sich der Fall so: Am 20.7. 1994 wurde für den BND-Präsidenten „zur Unterrichtung und Entscheidung“ eine Vorlage verfaßt, in der es heißt:

Die Abteilung LFB10 (Madrid) „hat am 18.7. 1994 von einer in Madrid ansässigen Quelle von 11A (Anm. der Red.: Damit ist V-Mann Rafa gemeint, 11A ist die BND-Abteilung „Operative Aufklärung“) erfahren, daß sich derzeit eine internationale Gruppe in München aufhalten solle und hier 400g Plutonium 239 zum Kauf anbiete. Pro Gramm solle dieser chemische Grundstoff US $ 71.000 kosten. Die Quelle hat indirekten Kontakt zu dieser Gruppe und ist bereit, kurzfristig nach München zu reisen, um erste Kontakte zu einem Scheinaufkäufer des LKA Bayern zu vermitteln. Das LKA wird diesen Fall in eigener Zuständigkeit führen und im Erfolgsfalle an die Quelle eine Prämie auszahlen (je nach Qualität des Stoffes, Minimum DM 10.000). Die Quelle wird während ihres MÜNCHEN-Aufenthalts durch einen Mitarbeiter von 11A betreut, der gleichzeitig als Übersetzer fungiert (Anm. der Red.: Das war BND-Mann Adrian alias Liesmann) ... Die Quelle wird nach erfolgreicher Kontaktvermittlung aus der Operation herausgelöst. Nach den Vorbesprechungen ist das LKA Bayern an der Hilfestellung der BND-Quelle äußerst interessiert. Es wird daher vorgeschlagen, nach dem oben skizzierten Ablauf zu verfahren, zumal es sich, sollte sich die Information bewahrheiten, um einen herausragenden Aufgriff handeln würde.“

Für diesen „herausragenden Aufgriff“ brauchte der BND das LKA, weil die Geheimdienstler selber gesetzlich keine polizeiliche Festnahmebefugnis besitzen. Laut Aussagen Rafas vor dem Untersuchungsausschuß versprach sich der BND dabei mehr von der Zusammenarbeit mit dem bayerischen LKA als vom Bundeskriminalamt, denn die persönlichen Verbindungen ins LKA seien ausgeprägter, so wurde Rafa gesagt. „Amtshilfe des BND für das LKA“ sei das also alles gewesen, argumentiert Schmidbauer. Was sich in diesem BND- LKA-Bündnis abspielte, hat inzwischen sogar den CSU-Ausschußvorsitzenden Friedrich mißtrauisch gemacht. Stolperstein ist für ihn ein vertraulicher Vermerk vom 26.7. 1994, in dem genauer beschrieben wird, was dann geschah. Er weist eindeutig auf eine gezielt bestellte Plutoniumlieferung hin; die Hintermänner stellte also der Staat. Verfaßt hat der beteiligte Kriminaloberkommissar Edtbauer den Vermerk:

Am 26.7. 94 fand bei der Staatsanwaltschaft München I eine Fallbesprechung zum aktuellen Plutoniumangebot statt ... OStA (Oberstaatsanwalt) Meier-Staude wurde vom Unterzeichner über den aktuellen Ermittlungsstand informiert, d.h., daß am 25.7. 94 abends ein Treffen zwischen dem NoeP (Nicht offen ermittelnder Polizeibeamter, gemeint ist der verdeckte LKA-Beamte Walter Boeden; d. Red.), dem Informanten, dem VP-Führer und den Tatverdächtigen stattfand. Bei diesem Treff wurde eine Probe des avisierten Materials übergeben. Seitens der Tatverdächtigen wurde gesagt, daß von diesem Material noch weitere 4,7 kg sich in Moskau befinden würden, die bei Kaufinteresse seitens des Kaufinteressenten nach Deutschland geschafft würden ... Mit OSta Meier-Staude wurde nun (...) vereinbart: Für den Fall, daß die Probe dem Angebot entspricht, soll der NoeP seine Kaufabsicht deutlich machen, und das Material soll aus Moskau über den Tatverdächtigen beschafft werden. Der Zugriff soll dann in Deutschland erfolgen, wenn die Ware übergeben wird. Mit diesem Vermerk ist klargestellt: Die dirigierende Rolle in dem lebensgefährdenden Deal übernahmen bundesdeutsche Stellen.