Der Schuß ging nach hinten los: Mit Geheimdienstakten wollte BND-Oberaufseher Bernd Schmidbauer im Plutoniumskandal die Flucht nach vorn antreten. Vergeblich – „008“ wird durch die Unterlagen nur noch mehr belastet Aus Bonn Holger Kulick

Kohls Mann mit der Lizenz zum Lügen

Er war blaß und sprach mit schmalen Lippen. Im blauen Zweireiher mit grüngetupfter Krawatte dozierte Kanzleramtsminister Bernd Schmidbauer gestern rund 20 Minuten lang aus einer vorbereiteten Erklärung. Erneut wies er alle Vorwürfe, er habe den Plutoniumschmuggel von Moskau nach München am 10. August 1994 inszeniert, als „absurd“ zurück: Er habe weder im Vorfeld „noch auf die Arbeit der Ermittlungs- bzw. Strafverfolgungsbehörden und des BND in München in der Zeit zwischen dem 18. Juli und 10. August Einfluß genommen“. Die Verteidigungslinie des Kanzlergehilfen: Die Medien hätten mit manipulierten Informationen die Öffentlichkeit getäuscht.

Wieviel wußten BND und Kanzleramt tatsächlich vom geplanten Plutoniumschmuggel? Reichlich, wie die Akten des Bundesnachrichtendienstes belegen.

In einem BND-internen Fernschreiben vom 18. 4. 95 faßt der damalige Leiter des BND-Leitungsstabs „Gilm“ ein Telefonat mit seiner Nachfolgerin „Frau Dr. Harburg“ im Leitungsstab (Abteilung 90a) vom 13. 4. 95 wie folgt zusammen:

1. Vermerk

1.1. Einordnung des Falles/Festlegung der Leitungsunterrichtung

Obwohl der Bundesnachrichtendienst in dem Fall nach Abgabe an das LKA Bayern nur noch in Amtshilfe für die bayrischen Behörden tätig war, kam dem Fall für den Dienst doch eine besondere Bedeutung zu. Hierfür waren folgende Gründe/Überlegungen maßgeblich:

(1) die Hinweise entstammten operativem Aufkommen des Dienstes. Quellenschutzgesichtspunkte waren zu berücksichtigen.

(2) ein hauptamtlicher Mitarbeiter des Dienstes begleitete die Verhandlungen als Dolmetscher und war somit der Gefahr, die derartige Geschäfte begleiten, ausgesetzt.

(3) o. a. Gründe waren ausschlaggebend dafür, daß entschieden wurde,die Leitungsunterrichtung über den Fortgang der Operation so dicht wie möglich zu gestalten. Da es aus ablauftechnischen Gründen nicht möglich war, jeden Schritt schriftlich darzulegen oder pr (BND-Präsident, d. Red) in einer Leitungsbesprechung vorzutragen, wurde folgendes Verfahren abgesprochen: (1) die im Dienst der beteiligten Stellen/Personen trugen mir den aktuellen Stand der BKA-Operation und/oder die Ergebnisse der dort geführten Planungsbesprechungen jeweils mündlich vor.

(2) ich selbst habe pr – später vpr (BND-Vizepräsident, d. Red) – über o. a. Sachstand auf dem laufenden gehalten.

(3) durch pr autorisiert, habe ich stm bk (Bernd Schmidbauer, Staatsminister im Bundeskanzleramt, d. Red.) über wichtige Aspekte der Operation jeweils im Nachgang zu den dienstinternen Besprechungen über die geschützte Telefonverbindung pr-stm bk mündlich unterrichtet ...

(4) um einen Informationswirrwarr zu verhindern, war festgelegt worden, daß die betroffenen Arbeitseinheiten des Dienstes ... in der Angelegenheit nicht direkt mit stm bk in Kontakt treten, sondern die Informationsweitergabe der Leitung überlassen ...

(6) insgesamt war mit o. a. Verfahren sichergestellt, daß die Leitung über den Leitungsstab ab Beginn der eigentlichen operativen Phase des Vorgangs so dicht wie in kaum einer anderen e i g e n e n Operation des Dienstes unterrichtet wurde.

Den Begriff „e i g e n e Operation des Dienstes“ hat Absender „Gilm“ selbst in Sperrschrift gesetzt. Im weiteren Verlauf zählt „Gilm“ auf, wer an den Informationsbesprechungen teilnahm. Darunter war auch BND-Mann Liesmann, der unter dem Decknamen „Adrian“ Rafa begleitete. Ferner heißt es, da BND-Präsident durch anderweitige Termine gebunden gewesen sei, „hatte er mich beauftragt, die mündliche Unterrichtung stm bk sicherzustellen. Dies habe ich ab dem 25. oder 26. 7. 94 in mindestens drei Telefonaten getan“. Mit anderen Worten: Wenigstens dreimal war der Staatsminister im Bundeskanzleramt von der geplanten Aktion unterrichtet worden.

Nur noch einmal will Schmidbauer am 3. August über ein Schreiben aus Pullach informiert worden sein, ansonsten wäre er vom 2. bis 10. August quasi unerreichbar in Urlaub gewesen. Erst am 11. 8., einen Tag nach den Festnahmen in München, habe er von dem Plutoniumtransport von Moskau nach München erfahren. Schier unvorstellbar für den Mann, der Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt ist.

Nicht erklären konnte sich Schmidbauer die Hinweise in einem BND-Schreiben aus Madrid, die reklamieren, daß Rafa versprochen Geldzahlungen „bis 300.000 Mark verlangt“. „Ihm wurde mitgeteilt“, heißt es darin weiter, „daß die endgültige Höhe seiner Prämie auf politischer Ebene fallen muß.“

„Zu viele Fragen laufen hier ins Leere“, kommentierte das Ausschußmitglied Manfred Such von den Grünen nach Schmidbauers Auftritt gegenüber der taz. Hermann Bachmeier von der SPD erklärte: „Jetzt gehört er dringender denn je vor den Ausschuß, das wird peinlich langsam.“

„Zurücktreten muß man bei einem großen Skandal“, hatte der Untersuchungsausschußvorsitzende Friedrich (CSU) zuvor in der ARD geäußert. Bei Schmidbauer sei nur nicht klar, ob es ein Skandal, ein großer Skandal oder ein Skandälchen sei. Liest man Schmidbauers bisherige Dementis, dann ist der Skandal groß genug. Schließlich hatte der Bonner „008“ vor der Bundestagswahl versprochen: „Ich lege meine Hand dafür ins Feuer, daß der BND nicht als Nachfrager von illegal aufgetretenem Nuklearmaterial aufgetreten ist.“ Das aber ist der Fall gewesen.