Abitur statt Solokarriere und Wunderkindallüren

■ Hat der MusikerInnen-Nachwuchs eine Zukunft? / Heute Förderpreis-Verleihung in der Stadtwaage

Allen Sparandrohungen zum Trotz: Fast hundert Sinfonie- und Kammerorchester haben zur Zeit in Deutschland fast 8.000 Planstellen. Sind das nicht opulente Möglichkeiten für den Nachwuchs, der ins Orchester drängt? Nein, meint Antje Pauls, Konzertmeisterin des Jugendsinfonieorchesters Bremen-Mitte. „Die Konkurrenz ist wahnsinnig groß, schon in den Aufnahmeprüfungen für die Musikhochschule“.

Antje Pauls will Orchestermusikerin werden, an eine Solokarriere mag sie noch nicht einmal denken. „Da hätte ich schon früher rein technisch mehr können müssen“. Doch die Wunderkindmentalität stößt sie ab, die siebzehnjährige will Abitur machen, hält eine differenzierte Sicht auf die Welt auch für den MusikerInnenberuf für unerläßlich.

Im heute abend in der Stadtwaage stattfindenden Förderkonzert der Sparkasse spielt Antje Pauls zusammen mit drei KollegInnen (Lena Thies, Franziska Richter, Johannes Berger) das fulminant schöne Streichquartett in F-Dur op. 96 von Antonín Dvorák. Außerdem werden die beiden jungen Pianisten Jens Wendland und Jakob Staniewski auftreten, die Akkordeonspielerin Inna Klause und der Bariton Julien Uhlig, auch er kurz vor dem Abitur.

„Das schöne an dieser Förderung ist, daß ich mir die Stücke selbst auswählen kann. Sonst kriegen wir immer gesagt, was wir singen oder spielen müssen“, sagt Julien Uhlig, der nach dem Abitur in Amerika studieren will.

Die Sparkasse vergibt ein kleines Stipendium, wohl eher ein Taschengeld und organisiert für die acht SpielerInnen vier Konzerte in verschiedenen Orten. „Das muß man regelrecht lernen, vor Publikum zu spielen, man muß die Ansprüche prüfen, die man von sich selbst hat, man muß sich wohl fühlen, und man muß erreichen, daß das Publikum nicht nur nett zuhört“, so Antje Pauls.

Beurteilt die junge Geigerin ihre Lage in einem auffällig ausgewogenen Maß von Anspruch und Selbstreflexion, so meint der Leiter des Jugendsinfonieorchesters Bremen-Mitte und Vorsitzender von „Jugend musiziert“, Heiner Buhlmann, optimistisch, sehr viele Begabungen zu treffen. Klar ist ihm, wie viele Fragen allein der Begriff „Begabung“ aufwirft, wie sehr die sogannte „Begabung“ abhängig ist vom sozio-kulturellen Umfeld des Kindes, allzu häufig auch vom „Drill“ durch die Eltern.

Die Auswahl für die nun im sechsten Jahr organisierten Förderkonzerte beruht auf seiner Beurteilung und Entscheidung. Mit dem großen Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“, dem die nicht ganz unpassende Verballhornung „Jugend dressiert“ anhängt, hat die Förderung der Sparkasse in Bremen nichts zu tun. Höchstens „indirekt, weil ich die MusikerInnen natürlich alle von „Jugend musiziert“ kenne“, so Heiner Buhlmann. Aber die zweiten, dritten und vierten Preisträger sind natürlich oft keineswegs weniger begabt, auch wenn ihnen dann – wie im Sport – kaum noch Aufmerksamkeit zuteil wird.

„An dieser Stelle setzen unsere Förderideen an“. Folgerichtig plant Buhlmann die Vergabe eines Interpretationspreises, „damit wir ein bißchen wegkommen von den virtuosen Hochleistungen“.

Ute Schalz-Laurenze

Heute abend in der Stadtwaage um 20 Uhr: Förderkonzert der Sparkasse. Mit Antonin Dvoraks Streichquartett in F-Dur op. 96