Tod einer Kurdin noch immer rätselhaft

■ Über ein Vierteljahr nach dem tödlichen Ausgang des Hungerstreiks ist die Todesursache der Kurdin Gülnaz Baghistani noch immer ungeklärt. Eine Obduktion der Leiche ist nicht mehr zu erwarten

Seit vier Monaten schleppen sich die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hin, den Tod der Kurdin Gülnaz Baghistani zu klären. Die Todesursache der fünffachen Mutter, die am 27. Juli nach acht Tagen Hungerstreik starb, ist weiterhin ungeklärt.

Minutiös läßt sich anhand des Polizeiprotokolls die Zeit bis zu ihrem Tod rekonstruieren. Um 12.37 Uhr geht bei der Feuerwehr ein Anruf aus einer Telefonzelle ein: Im deutsch-kurdischen Kulturverein „Navca-Kurd“ in Kreuzberg befinde sich eine bewußtlose Frau. Vier Minuten später trifft der Rettungswagen ein, weitere zwei Minuten später die Notärztin aus dem Bundeswehrkrankenhaus in Mitte. Da ist Baghistani bereits tot. 14.01 Uhr stellt die Notärztin den Tod der Kurdin fest. Todesursache: ungewiß. Eine Überstellung des Leichnams in die Pathologie verweigern die Kurden. Gegen 15 Uhr untersuchen zwei Kriminalbeamte die Leiche: kein Fremdverschulden. Einem Gerichtsmediziner, der später als dritter die Leiche untersuchen soll, wird erst nach fünf Stunden Zutritt gewährt.

Der Leichnam der kurdischen Frau wurde bis heute nicht obduziert. Die Begründung der Staatsanwaltschaft: die Untersuchung durch einen Gerichtsmediziner hätte keine äußeren Anzeichen für ein Fremdverschulden ergeben. Staatssekretär Detlef Borrmann von der Senatsverwaltung für Justiz hatte jedoch erklärt, daß auf eine Obduktion verzichtet wurde, weil die Organisatoren des Hungerstreiks dagegen gewesen seien. Aus der Senatsverwaltung für Inneres verlautete damals, die Organisatoren hätten mit „Unruhen“ und „Bürgerkrieg in Berlin“ gedroht.

Erst vier Wochen nach dem Tod der 41jährigen Asylbewerberin leitete die Staatsanwaltschaft ein formelles Ermittlungsverfahren weges des Verdachts der unterlassenen Hilfeleistung ein. Anlaß waren die Aussagen einer Journalistin, die von Kurden gehört hatte, daß unter den Hungerstreikenden eine herzkranke Frau sei, die „draufgehen“ würde. Die Organisatoren des Hungerstreiks hatten die Polizei für den Tod von Baghistani verantwortlich gemacht. Die „Patriotin“ hätte sich von den „schweren Verletzungen“ während der Auflösung der Mahnwache auf dem Breitscheidplatz nicht mehr erholt.

Diesen Vorwurf weist die Polizei zurück. Die Kurden hätten ärztliche Hilfe abgelehnt. Baghistani, die acht Tage lang die Nahrungsaufnahme verweigert hatte, war gemeinsam mit den knapp 200 Hungerstreikenden bei großer Hitze die acht Kilometer bis zum deutsch-kurdischen Kulturverein nach Kreuzberg gelaufen.

Derzeit prüft die Staatsanwaltschaft in einem „Todesermittlungsverfahren“, ob überhaupt eine Straftat vorliegt. Auch wenn sich herausstellen sollte, so Justizsprecher Rüdiger Reiff, daß Baghistani wegen unterlassener Hilfeleistung gestorben ist, sei eine Obduktion „nicht dringend erforderlich“. Sollten die Ermittlungen aber ergeben, daß fahrlässige Tötung vorliegt, müßte die Leiche auf Antrag der Staatsanwaltschaft obduziert werden. Eine Erklärung für die langwierigen Ermittlungen hat Reiff nicht. Mit Ergebnissen rechnet er in den nächsten Wochen.

Der Internist und Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde in Berlin, Hassan Mohamed-Ali, der Baghistani einen Tag vor ihrem Tod untersuchte, wendet sich gegen den Verdacht, daß die Organisatoren des Hungerstreiks von einer herzkranken Frau gewußt und ihren Tod in Kauf genommen hätten. „Dies ist sachlich und fachlich falsch“, erklärte der 59jährige bereits im August. „Es geht nicht, einer Organisation (PKK, Anm. d. Red.) so etwas zu unterstellen, nur weil sie als terroristisch eingestuft wird. Wir sind doch keine Bestien.“ Daß aus seiner „äußerst vorsichtigen Verdachtsdiagnose einer fraglichen Herzerkrankung“ eine „manifeste Herzkrankheit“ gemacht wurde, bezeichnet er als „Mißbrauch“, um ein „Argument für ein juristisches Vorgehen gegen die Organisatoren des Hungerstreiks“ zu haben.

Er habe am Tag vor Baghistanis Tod einen unregelmäßigen Puls und niedrigen Blutdruck festgestellt und sei zu dem Schluß gekommen, daß die Kurdin „nicht normal gestorben“ sei. Die Frau selbst habe ihm gesagt, daß sie gesund sei. Die „Verdachtsdiagnose“ hätte nur durch eine sorgfältige klinische Untersuchung bestätigt werden können. Jetzt aber, vier Monate nach dem Tod, brächte eine Obduktion keine Erkenntnisse über eine mögliche Herzerkrankung. Deshalb bleibe der „tragische Tod“ der Kurdin medizinisch ungeklärt. Barbara Bollwahn