Volksstück ohne Alpengreis

■ Ein Fernsehspiel, bei dem die Trumpfkarten gleich mehrfach wechseln: "Sau sticht!" (19.25 Uhr, ZDF)

Echt hart für das ZDF, ständig mit schielendem Blick unterschiedliche Zielgruppen zu fokussieren. Denn die Jüngeren müssen wieder in die erste Reihe aufs TV- Sofa, ohne die Älteren – in der Anstalt sowieso überrepräsentiert – zu verschrecken. Doch die, mit denen man so heftig liebäugelt, sind harthörig: Selbst bei dem zielgruppengestylten Fünfteiler „Um die 30“ bildete die titelgebende Altersgruppe gerade mal 38 Prozent der Zuschauerschaft. Die absolute Mehrheit stellten wieder einmal die über 50jährigen.

Doch diesmal könnte die Übung gelingen, eine erweiterte Klientel rund um die 50 zu gewinnen. Denn auf dem Plan steht ein „modernes Volksstück“. Wer jetzt befürchtet, in ein folkloristisches Schokoladenambiente zu geraten, bei dem ein Alpengreis mit seinem „It's cool man!“ in alle Altersrichtungen positiv abstrahlt, wird sich wundern: Mit „Sau sticht“ ist Regisseurin Heidi Kranz nämlich ein feines Stückchen „intergeneratives Qualitätsfernsehen“ gelungen, das ganz auf coolen Lifestyle-Schnickschnack verzichtet.

Dabei fängt der „Fernsehfilm der Woche“ mißverständlich beschaulich an mit viel oberbayerischer Gegend und zünftiger Mundart. Hauptfigur Anni (Monika Baumgartner) ist um die 40 und wohnt noch bei ihrer hartherzigen Mutter (Maria Singer), die den Hof inklusive Tochter volksstückgerecht an einen zugereisten Immobilienhai zu verschachern sucht. Doch in der Dorfgemeinschaft hat Anni längst ihren Platz an der Seite der Männer als Skatschwester und Fußballkumpel gefunden. Mit ihrer weiblichen Identität scheint sie abgeschlossen zu haben. Zu tief sitzen Schmerz und Verletzung, mit denen sie dereinst ihre große Liebe Joe zurückgelassen hat.

Wer nun müde abwinkt, bringt sich um einen Genuß, der erzähl- artistisch (Buch: Monika Bittl) aus souverän modifizierten Genrebildern erwachsen kann. Denn wie bei einem Kartenspiel, bei dem die Trümpfe wechseln, weiß man bei „Sau sticht“ nie, was gerade aufgespielt wird: Der schicksalgesättigte Stoff, aus dem die Heimatschmonzetten gemacht sind, wird nämlich sukzessiv in eine Beziehungskomödie der cleveren Art überführt. Zum parodistischen Bruch kommt es beim Auftritt des in die Jahre gekommenen Herzbuben Joe (August Schmölzer). Als ehemaliger König der Landstraße durchkreuzt er, gleichsam um die Potenz gebracht, nur noch mit dem Fahrergehäuse seines Trucks die Gegend. Dazu tönt kein Hardrock, wie es seine Lederjacke und Sonnenbrille nahelegen, sondern The Doors. Später bricht er mit Anni aus dem Dorf auf, um in die provinziellste aller Großstädte, nach München, zu fahren. Einträchtig lauschen sie dabei der Musik von Phil Collins, als ob sich in der musikalischen Verschiebung zum Kuschelrock die Hoffnungen der Jugend und die Sorgen des Älterwerdens bündeln ließen.

In einer außergewöhnlichen Liebesszene, bei der sowohl schamhafte Körperlichkeit als auch bedingungslose Liebe ausgespielt werden, schafft der Film die Verbindung von humoristischer Leichtigkeit und tragischer Schwere. Und somit wendet sich erneut die Gangart des Erzählens. Abermals wird der Joe die Anni zurücklassen und ihre Mutter darüber triumphieren können, daß die Tochter als Frau nicht überlebensfähig ist. Was folgt, ist die zwangsläufige Eskalation von Schuldgefühlen, eine intensive Melange aus Enttäuschung, Wut und Selbsthaß.

Hier findet die sonst so biedere Fernsehkamera auch endlich eindrucksvolle Bilder. Spätestens wenn Anni im roten Kleid und mit zerstörtem Gesicht durch gelbe Rapsfelder läuft, wird einsichtig, welche Kraft vom Heimatgenre ausgehen kann.

Wie zuvor bei der Liebesszene wird auch am Schluß keine Emotion sanft ausgeblendet. Was Monika Baumgartner hier verkörpert, ist das eindringliche Kontrastprogramm zur herzhaft-dezenten Gangart anderer TV-Mittvierzigerinnen. Mit Ausnahme von „Bella Block“, bei der sich die mittlere Lebenskrise und existentielle Sehnsucht subversiv verbinden, sind diese fernsehgerechten Powerfrauen doch bloße Konstrukte. Wenn die Damen dann auch noch „Rosa Rot“ oder „Anna Maria“ heißen müssen, wird deutlich, daß es hier lediglich darum geht, wunderbare Gefühlswelt und toughe Karriereplanung irgendwie ausgewogen zu transportieren. Das zur Zeit angesagte „Eine Frau geht ihren Weg“-Thema wird bei „Sau sticht“ in der Tradition des kritischen Volksstückes als archetypische Konfliktsituation zugespitzt: Der weibliche Körper wird zum Schauplatz seelischer Abgründe, die Normalität ist außer Kraft gesetzt, es gibt keine Probleme, die noch lösbar wären.

Das uns schließlich vorgespielte Happy-End trägt so deutlich märchenhafte Züge, daß es um so eindringlicher von der menschlichen Katastrophe und dem unabwendbaren Wahnsinn künden kann. Und das trifft einen viel härter als all die Fun-Sorgen aus dem Selbstverwirklichungsmilieu, mit denen sich die junggebliebenen TV-HeldInnen sonst so herumplagen. Jörg Adolph