Schöner wohnen – im Ruhrpott

Zuerst waren viele entsetzt, inzwischen sitzen sie im Mieterrat: Die Internationale Bauausstellung Emscher-Park (IBA) schafft Wohnungen für 500 Bottroper – und ein neues Gefühl fürs Kohlerevier  ■ Von Walter Jakobs

Mit Schrecken erinnert sich Christina Bussar an die Anfänge. Als sie die Rohbauten der neuen Siedlung das erste Mal sah, war sie entsetzt: „Das sieht ja aus wie eine Kaserne!“ Seitdem sind knapp zwei Jahre vergangen. Die Siedlung auf dem Gelände der ehemaligen Zeche „Prosper III“ im Zentrum von Bottrop ist fast fertig – und Christina Bussar gehört dem Mieterrat der Siedlung an. Mit ihrer Familie fühlt sie sich hier jetzt „sehr, sehr wohl“.

Bald werden auch die letzten der 246 neugebauten Wohnungen bezugsfertig sein. Vom größten Wohnungsbauprojekt der „Internationalen Bauausstellung Emscher-Park“ (IBA) ist die 33jährige Mutter zweier Kinder, nach anfänglicher Skepsis, „völlig überzeugt“. „Toll“ findet sie die hellen und großzügig angelegten Wohnungen in den dreigeschössigen Hauserblocks, die Wohnhöfe und die entstehenden Grünzüge. Auf Prosper III sieht Bussar eine „Nachbarschaft im urtümlichen Sinne wachsen, die Bindungen schafft, wie ich sie bisher nirgendwo erlebt habe. Wir sitzen abends oft zusammen, und tagsüber halten wir ein Auge auf unsere Kinder.“

Das Nachbarschaftsgefühl innerhalb der Bottroper Siedlung gründet sich nicht nur auf engagierte Menschen wie Christina Bussar, sondern ist auch eng verbunden mit der Architektur. An erster Stelle trägt dafür Karl Ganser Verantwortung, Geschäftsführer der IBA. Mit diesem Projekt – eines von 92 IBA-Vorhaben – wollte Ganser zeigen, daß auch bei dichter Bebauung mehr entstehen kann als ein Block von „aneinandergereihten und aufeinandergestapelten Wohnungen“.

Der Wandel auf Prosper III wirkt gewaltig. Anfang 1993 stand hier so gut wie nichts. Mächtige Bagger und Planierraupen durchpflügten seinerzeit das 26 Hektar große Gelände – was 30 Fußballfeldern entspricht. Seither gab es nicht nur beim Mietwohnungsbau einen rasanten Fortschritt – auf schwierigem Grund. Ein Großteil des Geländes war durch die alte Kokerei verseucht. Die IBA „löste“ das Problem pragmatisch: Der belastete Boden wurde zu einem etwa zehn Meter hohen Hügel zusammengeschoben und mit wasserundurchlässigem Kulturboden abgedeckt und bepflanzt. Auf der abgedichteten Fläche nimmt inzwischen ein Park Konturen an.

Jenseits der künstlichen Erhebung, auf dem Ostteil des Geländes, entstehen 133 Eigenheime. „Sonnenhäuser“ mit großen Fensterflächen nach dem Entwurf eines dänischen Architektenbüros. Ein Sozialzentrum mit 45 betreuten Altenwohnungen und zehn „Mehr-Generationenetagen“ ist im Bau. Während es Verzögerungen beim Kindergarten gab – ein Träger sprang ab –, ist das Gründerzentrum schon in Betrieb. Das von einer Tochtergesellschaft der Ruhrkohle AG betriebene Zentrum macht sich nach den Worten des Ruhrkohle-Abgesandten Roland Mitschke gut. 90 Prozent von 3.700 Quadratmeter Büro- und Werkstattfläche sind vermietet, 50 Vollzeit- und 28 Teilzeitarbeitsplätze sind zum Teil neu entstanden.

„Arbeiten und Leben im Park“, diese IBA-Idee nimmt im neuen Prosper-Viertel Gestalt an. Ohne die IBA hätte die Ruhrkohle hier zwar „auch was gemacht“, so Mitschke. Aber im Vergleich mit schon bebauten früheren Zechenflächen – etwa in Essen – ist hier durch die IBA „etwas Besonderes“ entstanden, das räumt auch Mitschke ein: IBA-Chef Ganser habe „enorm was bewegt“.

Seit dem Start im Jahr 1989 hat die IBA nach den Worten von Ganser Investitionen in Höhe von rund 3 Milliarden Mark angeschoben. Aus den öffentlichen Haushalten flossen etwa 1,8 Milliarden, den Rest des investierten Kapitals schossen private Investoren und halböffentliche Unternehmen zu. Die von der Düsseldorfer Landesregierung 1988 aus der Taufe gehobene IBA steuert die achitektonischen Wettbewerbe, plant, kontrolliert, aber sie baut nicht selbst. Bis 1999 sollen im Rahmen der IBA rund 3.000 Wohnungen gebaut und noch einmal soviel modernisiert werden. Auf 19 Zechengeländen entstehen bis dahin neuartige Gewerbezentren und Parks, quer durch das Revier, von Duisburg bis Lünen.

Insgesamt will die IBA bis zum Jahr 1999 320 Quadratkilometer vorhandene Grün- und Freiflächen sichern, ausbauen und zum „IBA-Landschaftspark“ verbinden. 70 Kilometer mißt die Ost- West-Verbindungsachse dieses „Landschaftsparks“, dessen Nord- Süd-Ausdehnung zwischen 13 Kilometer und wenigen hundert Metern schwankt. Andere Projekte werden mehrere Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Dazu gehört die Renaturierung der schon Anfang dieses Jahrhunderts in ein Betonbett gezwängten und zum stinkenden Abwasserkanal umfunktionierten Emscher.

Ganser, Sozialdemokrat, Inhaber eines Lehrstuhls an der TU- München und einst Abteilungsleiter im Düsseldorfer Städtebauministerium, versteht die IBA als „eine Werkstatt für die Zukunft“, beispielgebend auch für andere vom Strukturwandel gebeutelte Regionen. Die schärfste Kritik kam bisher von der „IBA von unten“, einem Zusammenschluß verschiedener Initiativen, die der offiziellen IBA vorwerfen, sich bei ihren Planungen „am traditionellen Ruhrgebiets-Filz“ zu orientieren. Das größte Manko der IBA sei, so Thomas Rommelsbacher, Stadtplaner und grüner Ratsherr aus Essen, daß sie „alles, was nicht konsensfähig ist, nicht aufgreift“.

Insgesamt, so räumt indes auch Rommelsbacher ein, mache die IBA aber das, was sie letztendlich umsetze, „relativ erfolgreich“. Weil von den 160 vorgeschlagenen Alternativprojekten nur eines beim IBA-Management auf Zustimmung stieß, kündigte die „IBA von unten“ im letzten Jahr die schwierige Zusammenarbeit auf.

Ganser hält den Kritikern entgegen, außer akademischen Projektentwürfen nicht viel geboten zu haben: „Das sind keine Initiativen, die als Träger etwas umsetzen wollen, sondern akademische Berater, und davon haben wir genug.“ Die neue grüne Umweltministerin Bärbel Höhn fände es dagegen „wichtig, wenn wir mehr bürgerschaftliche Aktivitäten und auch Initiativen von unten in die IBA integrieren“ könnten.

Daß die IBA Konfrontationen mit mächtigen Interessengruppen aus dem Weg geht und auf öffentliche Kritik an ökologisch zweifelhaften Vorhaben verzichtet, räumt Ganser ein. So blieb der Protest am geplanten Ausbau einer Bundesstraße zur Autobahn in Bottrop seitens der IBA ebenso aus wie ein Aufschrei gegen einen Kohlekraftwerksneubau auf dem Gelände der Bundesgartenschau in Gelsenkirchen. Zufall ist das nicht. Statt gegen das „Böse“ zu wettern, konzentriert sich Ganser darauf, „das Gute zu beschleunigen“. Seine Arbeitsphilosophie beschreibt er so: „Wir machen bessere Angebote und setzen darauf, daß die Menschen diese nutzen und die schlechteren liegen lassen.“

In Bottrop hat sich die IBA, diesem Kurs folgend, auf die Renaturierung eines Baches in unmittelbarer Nähe der geplanten Autobahn gestürzt. Dadurch, gibt sich Ganser optimistisch, „tabuisieren wir die Autobahn faktisch“. Auch beim Kraftwerk in Gelsenkirchen gab er die Devise aus, „für die Bundesgartenschau zu kämpfen“, um darüber den Kraftwerksneubau, der mitten im Gartenschaugelände geplant war, zu erledigen. Bisher ging die Rechnung auf. Die VEBA-AG legte die Investitionspläne auf Eis. Ob nur bis zum Ende der IBA 1999 oder für immer, steht indes in den Sternen.

Kompromisse bezüglich des ökologischen Standards pflastern den IBA-Weg auch beim Wohnprojekt Prosper III. Das Regenwasser wird zwar ökologisch korrekt vom Abwasser getrennt und über ein Rückhaltebecken demnächst einem renaturierten Bach zugeführt, und geheizt wird mit Fernwärme, aber die Fenster sind aus PVC. Das ist gewiß kein „bauphysikalisch vernünftiges Material“, wie es die IBA vorschreibt, aber mit dem Bauträger VEBA- Immobilien war hier anderes nicht zu machen. Ganser („Ich liebe Holzfenster“) akzeptierte schließlich recycelbares PVC, um das Projekt zu retten.

Auf Prosper III mußten die alten Zechenanlagen dem Neuen weichen. Oft verfährt die IBA aber auch andersherum. So auf der Essener Großzeche Zollverein, deren architektonisch herausragende Gebäude wieder genutzt werden, oder bei der Verwandlung der alten Meidericher Eisenhütte der Thyssen AG in den Landschaftspark im Duisburger Norden. Die Chancen stehen gut, daß sich das 200 Hektar große Gelände, das dort samt Hüttenwerk gesichert wird, zu einem der wichtigsten industriegeschichtlichen Zeugnisse der Stahlindustrie entwickelt. 80 Jahre lang war dieses Werk für Außenstehende verschlossen, doch nun stehen die Tore für alle weit offen. Für den Erhalt des Werkes hatten sich örtliche Initiativen zwar schon lange vor der IBA engagiert, aber erst das Parkprojekt macht die neue Nutzung möglich.

Der Leiter des gewaltigen Projekts, in das bis Ende 1999 etwa 100 Millionen Mark investiert werden, erzählt, daß sich am Anfang „Bevölkerung und Kommunalpoitik sehr gespalten“ zeigten. „Manche wollten den Ort der Maloche schnell loswerden.“ Doch solche Stimmen sind längst verstummt. Ein 65 Meter in den Himmel reichender Hochofen dient längst als Aussichtsturm und die ehemalige Gebläsehalle als Konzertsaal. Hier wie im Pumpenhaus nebenan wurden die Stühle und Theken um die mächtigen Maschinen herum so geschickt postiert, daß die alte Industriekultur ihren Charakter bewahren konnte. Das Neue präsentiert sich im Alten, ohne es als billige Kulisse zu mißbrauchen. Ein Industriemuseum der ganz besonderen Art.

Draußen, in einem mit Wasser vollgelaufenen Gasometer, wollen demnächst Duisburger Tieftaucher Anfänger schulen, und an den Wänden der ehemaligen Materialbunker üben Revier-Alpinisten das Extremklettern. Wer nie ein Hüttengelände von innen sah, dem dürfte es ähnlich ergehen wie Projektleiter Forßmann: „Mich hat das umgehauen.“ Kein Wunder, daß der aus Köln stammende Forßmann inzwischen von einem „Dom der Industrieansieldlung“ spricht. Wer diesen „Dom“ ignoriert, der verzichtet auf den sinnlichen Eindruck von den Wurzeln des Reviers.