■ Gipfelkonferenz der Europäischen Union in Madrid
: Lächerlich, aber nicht überflüssig

Hochdekorierter Infantilismus in Madrid: Italiens Premier Lamberto Dini reiste vorzeitig ab, um nicht gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Jacques Chirac eine türkische Delegation empfangen zu müssen. Chirac seinerseits will nicht zur Eröffnung der Regierungskonferenz am 29. März nach Turin kommen und hat deshalb durchgesetzt, daß diese Schlüsselkonferenz für die Zukunft der EU nur von Außenministern geleitet wird. Dini mag Chirac nicht, seit der ihm kürzlich böse Vorhaltungen wegen ein paar französischen Zuchtstieren gemacht hat, die aufgrund der Lira-Abwertung nicht mehr nach Italien exportiert werden können. Und Chirac mag Dini noch weniger, seit Italien in der UNO für eine Verurteilung der französischen Atomtests gestimmt hat.

Man könnte diese Männerfeindschaft als lächerlich abtun, hätte sie nicht Auswirkungen auf die Europäische Union. Wenn die Regierungskonferenz, bei der die EU für die Herausforderungen des nächsten Jahrhunderts fitgemacht werden soll, scheitert, liegt auch die Osterweiterung auf Eis. Mit Chirac ist in der Europäischen Union ein scharfer Ton eingezogen. Dini ist nicht der einzige auf seiner schwarzen Liste. Er werde nicht vergessen, wetterte er in Madrid, daß zehn EU- Regierungen die Atomtests kritisiert haben.

Aber die Art und Weise, wie der Streit in Madrid ausgetragen wurde, hat auch eine beruhigende Seite. Er beweist, daß die EU im Kern weit weniger verrottet ist, als es den Eindruck hat. Trotz aller Zwistigkeiten sitzen die sturen Männer bei EU-Gipfeln immer wieder am Tisch, und sie kommen auch noch zu Ergebnissen, wie die Beschlüsse über die Währungsunion und die Osterweiterung zeigen. Die kontinuierliche Zusammenarbeit über alle Meinungsverschiedenheiten hinweg ist es, die die Stabilität der Europäischen Union ausmacht. Darin liegt auch die Attraktivität der EU für die Nachbarländer, für die jungen Demokratien in Mittel- und Osteuropa, die aufgenommen werden wollen, wie für die südlichen Mittelmeeranrainer, die politisch und wirtschaftlich die Nähe der EU suchen. Für sie ist die Europäische Union in erster Linie der Anker für eine Stabilität, die es rundherum nicht gibt. Die Gefahr militärischer Drohgebärden, wie sie bei Streitereien etwa zwischen Marokko oder Algerien immer zugegen ist, besteht in der Europäischen Union nicht. Die EU ist belastbar. Wenn die Regierungskonferenz wegen Chiracs Launen platzt, wirft das die dringende Osterweiterung zurück, die Welt geht deshalb aber nicht unter. Alois Berger