■ Der Streit um die Haushaltskonsolidierung in den USA
: „Das Defizit ist derzeit zu niedrig!“

taz: Der Schuldenberg der USA ist auf 3,6 Billionen Dollar angestiegen. Der amerikanische Präsident wie auch die „Republikaner“ im Kongreß wollen möglichst bald einen ausgeglichenen Haushalt herbeiführen – angeblich, um die nächsten Generationen nicht unter dem Schuldenberg zu begraben. Sie aber sehen keinen Grund zur Aufregung. Warum?

Eisner: Ganz einfach. Ein Großteil unserer Schulden – schätzungsweise drei Billionen Dollar – gehört der amerikanischen Öffentlichkeit in Form von Anleihen, Schatzwechseln oder Schuldverschreibungen. Es sind Schulden des Bundes bei seinen Bürgern – und somit deren Vermögen. Je mehr davon im Besitz von Privatpersonen ist, desto reicher sind sie, weil sie mehr Zinsen einheimsen. Mehr Einkommen führt in der Regel dazu, daß man mehr ausgibt und konsumiert. Das wiederum schadet einer Wirtschaft aber nicht, sondern kurbelt sie an, läßt Betriebe expandieren, die wiederum wieder mehr Arbeitnehmer einstellen.

Defizite zu schaffen, soll per se gut sein?

Nein. In Zeiten der Vollbeschäftigung kann ein Defizit keine zusätzlichen Arbeitsplätze, also auch keine Produktionszuwächse schaffen. Es schlägt dann auf die Preise – und führt zur Inflation. Doch trotz der vergleichsweise niedrigen Arbeitslosenquote von 5,5 Prozent sind wir in den USA noch keineswegs bei den 3,5 Prozent Arbeitslosigkeit angelangt, die während des Vietnam-Krieges herrschte – oder bei den 4 Prozent, die in einem Kongreßbeschluß von 1978 als Vollbeschäftigungsziel vorgegeben worden sind. Im übrigen muß man immer die Relationen im Auge behalten: Ein Defizit mag sich in absoluten Zahlen fürchterlich hoch anhören. Doch unser Defizit betrug 1995 nur 2,3 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts (BIP). 1992 waren es noch 4,9 Prozent. Die Ratio zwischen unserem Schuldenberg von 3,6 Billionen Dollar zu unserem BIP von rund 7 Billionen Dollar liegt derzeit bei knapp über 50 Prozent – mit sinkender Tendenz. Das jährliche Defizit ist – nicht zuletzt dank Clintons Haushaltspolitik – so klein, daß unser Schuldenberg langsamer wächst als das Bruttoinlandsprodukt. In diesem Sinne haben wird bereits den Punkt der Balance, wenn nicht sogar des Überschusses erreicht.

Da erscheint Ronald Reagan mit seiner Schuldenpolitik ja plötzlich in einem ganz anderen Licht?

Zum großen Unmut vieler demokratischer Abgeordneter habe ich damals in Kongreßanhörungen Reagan nie wegen seiner Defizitpolitik kritisiert. Ich habe ihn kritisiert, weil er damit seine Politik der Hochrüstung finanziert hat, was ich sowohl sicherheitspolitisch als auch ökonomisch für wahnwitzig hielt, weil es eine enorme Verschwendung von Ressourcen bedeutete. Das Defizit an sich war nicht das Problem. Es hat uns aus der Rezession geholfen.

Defizit-Gegner argumentieren, daß eine Verkleinerung des Haushaltslochs oder gar ein ausgeglichener Haushalt zu Zinssenkungen führt, weil der Staat weniger Geld leihen muß – und somit Investitionen steigen. Sie haben dem wiederholt vehement widersprochen...

Es gibt nach meiner Ansicht – und der zahlreicher anderer Ökonomen – keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen Defizit und Zinsraten. Letztere sind nicht unter Kontrolle der Haushaltspolitiker, sondern unserer Zentralbank, der Federal Reserve. Die befindet sich in der meiner Ansicht nach irrigen Annahme, daß die Inflationsrate wächst, weil unsere Ökonomie derzeit stark genug ist, um die Arbeitslosenrate zu senken. Die Zinsraten würden sinken, wenn die Federal Reserve diese Fehleinschätzung endlich korrigieren würde.

Wie kommt es nun, daß die amerikanische Öffentlichkeit wie auch die Politiker in dieses „Anti- Defizit-Fieber“ geraten sind?

Das frage ich mich oft selbst. Zum Teil hat es damit zu tun, daß die Öffentlichkeit nicht versteht, woraus sich ein Defizit zusammensetzt. Daran ist auch der Bund mit seiner „Buchführung“ schuld, in der nicht zwischen laufenden Ausgaben auf der einen und Investitionen auf der anderen Seite unterschieden wird. Zum Teil hängt es mit geschichtlichen Traditionen zusammen. In dieser Defizitdebatte spiegelt der alte Streit zwischen Thomas Jefferson, dem Gegner, und Alexander Hamilton, dem Befürworter eines starken Zentralstaates wieder. Seit Franklin D. Roosevelts „New Deal“ sind die Demokraten mit dem Stigma derer versehen, die dem Volk Steuergelder aus der Tasche ziehen und für staatliche Programm „verschwenden“. Dieser Streit ist nun mit der republikanischen Mehrheit im Kongreß eskaliert. Vielen Konservativen geht es nicht um einen ausgeglichenen Haushalt. Wenn ihnen das so wichtig wäre, bräuchten sie bloß die Steuern erhöhen. Ihnen geht es um die Demontage des Bundesstaates, den sie verabscheuen. Mit ihrer Defizit-Paranoia rechtfertigen sie es, den Bürgern eine umfassende Gesundheitsversorung, Ausbildung und all die notwendigen Investitionen in ihre Zukunft zu verwehren.

Sehen sie bei den nächsten Wahlen 1996 eine Gegenreaktion auf diese „Defizit-Paranoia“ voraus?

Ich bin da ziemlich optimistisch. Die Republikaner sind mit ihrer Kahlschlagpolitik in Meinungsumfragen ziemlich abgestürzt. Sie fordern den Leuten eine Opferbereitschaft aus rein ideologischen Gründen ab, ohne daß es eine ökonomische Notwendigkeit gäbe. Deshalb geht es beim gegenwärtigen Haushaltsstreit zwischen Clinton und den Demokraten auf der einen und den Republikanern auf der anderen Seite auch nicht nur um Zahlenfeilscherei. Hier stehen grundlegende politische Prioritäten auf dem Spiel.

Sie wünschen sich also, daß Clinton zu seinem alten Wahlprogramm zurückgeht?

Natürlich. Erstens brauchen wir Investitionen in die Infrastruktur, in den sozialen Bereich, in Ausbildung und Berufstraining. Zweitens ist das Haushaltsdefizit unter ökonomischen Gesichtspunkten derzeit nicht zu hoch. Es ist zu niedrig.

Gespräch: Andrea Böhm