: Einheitsfront in Hongkongs Untergrund
Im paranoiden Klima der Kronkolonie brodelt die Gerüchteküche: Die verbotene Kommunistische Partei soll bereits 50.000 Mitglieder haben – und sie gewinnt weiter an Boden ■ Aus Hongkong Catherine Sampson
Als man Xu Jiatun 1983 anbot, Direktor der Hongkonger Filiale der „New China News Agency“ zu werden, konnten viele seiner Bekannten nicht verstehen, warum er den Job wollte. „Wieso geht er ins Nachrichtengeschäft?“ hört Xu sie noch heute fragen. Sie waren mehr als befremdet darüber, daß er, ein erfolgreicher Funktionär der Kommunistischen Partei in der wichtigen chinesischen Provinz Guandong, einen derart unkonventionellen Schwenk in seiner Laufbahn machte.
Aber der Schein trog. „Obwohl ich in der Öffentlichkeit der Chef der Hongkonger Niederlassung der New China News Agency war“, erinnert sich Xu in seinen Memoiren, „so war mein wirklicher Job doch der eines kommunistischen Parteisekretärs des Arbeitskomitees von Hongkong und Macau.“
Sechs Jahre später, nach der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung in Peking, floh Xu zum großen Leidwesen seiner Parteibosse in die USA. Seine Memoiren gewähren einen seltenen Einblick in die Schattenarbeit der kommunistischen Parteizentralen in Hongkong: eine Welt voller Spitzel und Parteistrategen, die hinter den Kulissen daran arbeiten, den kommunistischen Einfluß in Hongkong auszuweiten.
Es gibt in Hongkong nur wenige Familien, die nicht zu irgendeinem Zeitpunkt in ihrer Geschichte vor der Kommunistischen Partei Chinas fliehen mußten. Die Zugehörigkeit zur Kommunistischen Partei ist in Hongkong verboten, dennoch werden ihre Mitglieder auf etwa 50.000 geschätzt. Niemand will zugeben, dabeizusein, aber Gerüchte machen die Runde in Hongkongs zunehmend paranoider Atmosphäre.
1984 versuchte Peking zwar noch, Ängste zu zerstreuen, indem es zusicherte, der Kapitalismus könne noch fünfzig Jahre nach der chinesischen Übernahme der Kronkolonie im Jahr 1997 bestehenbleiben. Aber politische Beobachter sagen, daß die Kommunistische Partei heute ihre Anstrengungen verstärkt, Kontrolle über das Gebiet zu gewinnen.
„Zweifellos hat die Partei versucht, Mitglieder zu rekrutieren. Für eine Partei ist das aber normal“, sagt Joseph Yu-shek Cheng, Professor am Zentrum für zeitgenössische China-Forschung der städtischen Universität. „Mit einiger Sicherheit gibt es Parteiorganisationen innerhalb der Universitäten und in öffentlichen Institionen, die nicht offen sichtbar sind, sondern unter der Oberfläche agieren“, spekuliert er. Cheng prophezeit, daß die Partei wie in den frühen fünfziger Jahren, als sie die Kontrolle auf dem Festland übernahm, mit Taktiken der Einheitsfront agieren wird. Dazu gehört vor allem, in Schlüsselbereichen der Gesellschaft Sympathieträger zu finden und diese zu umwerben. „Die wichtigsten Ziele von Pekings Einheitsfront werden wohl die Kirchen sein, die Gewerkschaften, die Massenmedien und andere gesellschaftliche Gruppen. Also hauptsächlich jene Bereiche, in denen Opposition am ehesten entstehen kann.“
In seinen Memoiren beschreibt Xu Jiatun, wie in den frühen achtziger Jahren Gewerkschaften sowie Frauen- und Jugendorganisationen aufgebaut wurden, um die Aktivitäten der Kommunistischen Partei zu decken. Cheng hat den Verdacht, daß die Gelder der Kommunistischen Partei heute für Bauvorhaben der Gewerkschaften, etwa für Sportstätten und Restaurants, verwendet werden.
Während der Hongkonger Parlamentswahlen vom September beschuldigten prodemokratische Politiker die Kandidaten mit kommunistischem Hintergrund, in der Wahlkampagne die Grenzen der Legalität überschritten zu haben. So sollen Mitglieder linksgerichteter Gewerkschaften zu Wahllokalen transportiert worden sein. Nicht zuletzt sollen sie dann von der New China News Agency mit Listen der Kandidaten, die sie zu wählen hatten, ausgestattet worden sein.
Neue wissenschaftliche Studien haben ermittelt, daß viele Honkongchinesen aus Patriotismus zwar grundsätzlich damit einverstanden sind, daß China die Souveränität über die britische Kronkolonie wiedererlangt. Das bedeutet aber noch lange nicht, daß sie der Kommunistischen Partei gegenüber loyal sind. Die prodemokratische Abgeordnete Christine Loh hat von China gefordert, eindeutig festzulegen, daß die Kommunistische Partei nach 1997 nicht als Macht hinter den Kulissen die Fäden zieht. „Das schlimmste Szenario“, so Christine Loh, „wäre eine klandestine Organisation. Wenn diese zum wahren Machtzentrum in Honkong werden würde und in vielen Belangen das letzte Wort hätte, das wäre das Schlimmste.“ Das Amt des „Chief Executive“, des zukünftigen Hongkonger Regierungschefs, wäre dann pure Kosmetik. Sie fürchtet einen kommunistischen Kader, das, aus irgendeiner Ecke Chinas gesandt, nur sehr wenig über Hongkong wissen wird.
Manch anderer befürchtet, daß dieser Kader bereits installiert ist. Der 88jährige Zhou Nan ist Xus Nachfolger als Direktor der Hongkonger Niederlassung der New China News Agency. Der Festlandchinese hat im Koreakrieg als Vernehmer seinen Charme an Kriegsgefangenen schulen können. Es ist klar, daß er Xu auch als kommunistischen Parteisekretär beerbt hat. Aber das ist – versteht sich von selbst – niemals öffentlich zugegeben worden.
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