Tschetschenische Wahlen im Granatenhagel

■ Rebellen und russische Truppen kämpfen weiter um Gudermes. Augenzeugen berichten von Leichenbergen. Und Moskau lobt den Enthusiasmus der Wähler

Moskau/Grosny (taz/AP/AFP) Überschattet von den heftigsten Kämpfen seit Monaten sind am Sonntag die von der russischen Regierung angesetzten Wahlen in Tschetschenien fortgesetzt worden. Das Zentrum der Rebellenangriffe war Gudermes, die zweitgrößte Stadt der Kaukasusrepublik. Die Lage dort ist weiterhin unklar. Angaben der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge griffen Rebellen am Sonntag erneut die Kommandantur und den Bahnhof von Gudermes an, die von russischen Truppen gehalten werden. Viele Einwohner flüchteten aus der Stadt. Die tschetschenischen Unabhängigkeitskämpfer hatten am Samstag die vollständige Kontrolle über die Stadt gemeldet. Am Vortag hatte der russische Innenminister Kulikow behauptet, man habe die Lage in Gudermes unter Kontrolle.

Auch über die Zahl der Opfer gab es unterschiedliche Angaben. Ein Armeeleutnant, der anonym bleiben wollte, sagte, seit Beginn der Kämpfe seien allein in Gudermes rund 200 Soldaten ums Leben gekommen. Er selbst habe gesehen, wie 50 Kameraden von den Rebellen getötet worden seien. Nach offiziellen Angaben fielen seit Donnerstag rund 30 Soldaten, mehrere Dutzend werden vermißt. Die Rebellen sprachen von mehreren hundert getöteter Soldaten. Augenzeugen berichteten der Nachrichtenagentur Interfax, Gudermes sei fast zur Hälfte zerstört. In den Straßen türmten sich die Leichen von hunderten toter Zivilisten, hieß es. Am Samstag waren ein Reporter der New York Times und seine Dolmetscherin bei Kämpfen zwischen moskautreuen Tschetschenen und separatistischen Rebellen nahe der Stadt Urus-Martan verletzt worden. Der pro-russische Regierungschef Doku Sawgajew wertete die Wahlen trotz der anhaltenden Gefechte als Erfolg. Der Enthusiasmus der Wähler habe alle Erwartungen übertroffen, sagte er. Der stellvertretende Chef der pro-russischen Behörden, Wladimir Sorin, hatte Interfax am Samstag gesagt, die Wahlbeteiligung liege bei 48 Prozent. In der Hauptstadt Grosny hätten sogar 70 Prozent der Wähler ihre Stimmen abgeben. Demgegenüber berichteten westliche Journalisten über Fälle von Wahlbetrug. So wurden am Sonntag in Grosny Wähler dabei beobachtet, wie sie mehrere Stimmzettel abgaben. Ein Mitglied des Wahlbüros erklärte, Stimmabgaben für verhinderte Familienangehörige seien möglich. Festgeschriebene Wahlbüros für die einzelnen Wähler gab es nicht. Ein Sprecher des russischen Innenministeriums kündigte am Sonntag an, die Armee werde in Gudermes erst nach der Evakuierung der Zivilbevölkerung eine „effektive Operation“ gegen die Rebellen starten. Auch um die Stadt Urus-Martan war in den vergangenen Tagen gekämpft worden. khd