„Bremen muß sich ergeben!“

Undeutsch, impressionistisch, umstritten: Max Liebermann in Bremens Kunsthalle  ■ Von Thomas Wolff

Als auch noch ein gewisser van Gogh in die Kunsthalle einziehen sollte mit einer wüsten Malerei namens „Mohnfeld“, platzte dem Bremer Maler Carl Vinnen der Kragen. Die deutsche Kunst zeichne sich durch Gefühlstiefe aus, während die französischen Maler bloß die Oberfläche schilderten. Direktor Pauli möge von weiteren Ankäufen dieser Richtung – Monet, Degas, aber auch das deutsche Gefolge aus Slevogt, Corinth und Max Liebermann – bitteschön absehen. Des erbosten Malers „Mahnwort an den Kunstverein“ erschien am 3./4. Januar 1911 in der Bremer Lokalzeitung.

Kein vereinzelter Ausbruch eines beleidigten Künstlers, sondern Teil einer breiten kulturpolitischen Kampagne. Der Eklat um Vinnens „Mahnwort“ erscheint im Rückblick exemplarisch für den Kampf zwischen akademischer Tradition und Moderne, wie er in Deutschland um die Jahrhundertwende tobte. Ein Kampf, in dessen Mitte sich Max Liebermann und sein Bremer Verbündeter Gustav Pauli häufig wiederfanden: Pauli kaufte schon früh die umstrittenen Franzosen an; Liebermanns Malerei wurde mit diesen in einen Topf bzw. in eine Gosse geworfen: „Rinnsteinkunst“, hieß es, und höchst undeutsche noch dazu.

Die Zuordnung Liebermanns zu nationalen Schulen und Gesinnungen bleibt bis heute schwierig. Zuletzt wollten deutsche Kunsthistoriker Liebermanns Luft- und Lichtmalerei streng vom Impressionismus französischer Prägung abgrenzen. Das Gegenteil behauptet nun eine Überblicksschau, die am Ort der früheren Kontroversen stattfindet: Die Bremer Kunsthalle zeigt „Max Liebermann – Der deutsche Impressionist“.

Also keine erschlagende Retrospektive mit dem Anspruch auf Vollständigkeit, sondern ein Rückblick, der Liebermanns Wege zur neuen Malerei nachvollzieht. Ein geglücktes Unternehmen: In acht Kabinetten wird die komplexe Entwicklung Liebermanns veranschaulicht, ohne den Besuchern eine vereinfachte, lineare Darstellung aufzuzwingen. Die Einflüsse aus Barbizon und Paris werden in ganz unterschiedlichen Motiven zu unterschiedlichen Phasen deutlich. Bereits in den holländischen Landschaften, die sich – ein wenig sentimental – dem Alltag vorindustrieller Zeiten widmen, verzichtet Liebermann auf den Pathos deutsch- akademischer Tradition.

Schon früh erscheinen auch die sonnigen Lichtflecken, die später zum Markenzeichen Liebermanns werden sollten, in allen möglichen Gemälden, Pastellen und Vorstudien. In den frühen Pastellen traut sich der deutsche Maler schon mal an den lockeren Duktus der Franzosen heran. Aber erst in der „Papageienallee“ von 1902, ein Motiv aus dem Amsterdamer Zoo und das Schmuckstück der Bremer Schau, läßt Liebermann seine neu gefundene Malfreude auch durchscheinen: leuchtende Farben, eine heitere, helle Grundstimmung, alles verbunden mit Motiven aus dem Freizeitleben der großstädtischen Gesellschaft.

Ein Abklatsch des französischen Impressionismus ist dies alles nicht. Die Bremer Ausstellung zeichnet ein differenziertes Bild des „persönlichen Impressionismus“ Liebermanns. Dieser ließ sich zwar zu Studien und Pastellen „vor der Natur“ hinreißen, aber die Plein-air-Malerei eines Monet, der vom Hausboot aus die Sonnenuntergänge an der Loire festhielt, übernahm der Deutsche nicht. Liebermanns Gemälde wurden ganz klassisch im Atelier des Malers vollendet. Und selbst die Liebermannschen Lichtflecken sind weit entfernt vom flirrenden Licht der Franzosen. Licht und Farben dienen diesen als Chriffren einer neuen, subjektiven Empfindsamkeit; Liebermann setzt seine hellen Tupfer immer noch als Markierungen in den Raum, als wollte er die konventionellen Perspektive ein letztes Mal bestätigen.

Doch schon die zeitliche Nähe zu Monet & Co. war zuviel für die deutschnationalen Maler zu Kaisers Zeiten. Die „Kuhhirtin“ von 1890 stand schon früh unter Beschuß – ein Maler wie Liebermann, der behauptete, eine gut gemalte Rübe sei bessere Kunst als eine schlechte Himmelfahrt, zog sich systematisch den Zorn der Akademien zu. Auch vor antisemitischen Spitzen war er nicht sicher. 1905 hält der Heidelberger Kunstprofessor Henry Thode „Zehn Vorlesungen gegen die einseitige, das Fremde proklamierende Kunstauffassung“. Der Impressionismus sei eine von einem kleinen Berliner Kreis aus geschäftlichen Gründen propagierte Richtung. Attacken gegen Liebermann und den Galeristen Paul Cassirer folgten.

Doch Liebermann, Cassirer und Pauli bleiben hart. 1904 beschickt der Maler die Bremer Kunstschau mit drei Bildern und droht fröhlich: „Bremen muß sich ergeben!“

So ist die Liebermann-Schau in Bremen am richtigen Platz. Anstatt sich eine teure, gewinnträchtige Sonderschau einzukaufen, wurde eine Ausstellung zusammengestellt, die Sammlungs-, Kultur- und Politikgeschichte miteinander verknüpft. Dies soll auch künftig Zielsetzung der Kunsthalle unter der neuen Leitung von Wulf Herzogenrath sein, der von Berlins Nationalgalerie nach Bremen kam. Erst einmal aber macht die Kunsthalle dicht: Die Liebermann- Schau ist das letzte Ereignis, bevor das Haus wegen Sanierung für zwei Jahre komplett schließt. Einzelne Sammlungsstücke sollen während der Bauzeit in anderen Kunsthäusern gezeigt werden.

„Max Liebermann – Der deutsche Impressionist“. Bremer Kunsthalle, bis 24. 3. 96; der Katalog kostet im Museum 49DM