■ Editorial
: Katzenjammer

Daß es in Europa nicht nur mehr knirscht, sondern in allen Balken kracht, ist den meisten „Europäern“ erst anläßlich der französischen Atomversuche klargeworden. Danach durch das verbissene Verhalten Chiracs gegenüber seinen Kritikern. Und schließlich, als der deutsche Kanzler öffentlich schlaflose Nächte bei der Vorstellung einräumte, auch in Deutschland könnten sich die Arbeiter wie in Frankreich dagegen auflehnen, daß sie die von den Mächtigen ausgehandelten Normen aus ihrer Lohntüte bezahlen sollen.

Der Katzenjammer ist nicht mehr zu übersehen, auch wenn viele Europatümler ihre Augen feste zuzuhalten versuchen. Doch tatsächlich hätte man nur die Zeichen in vielen Euro-Ländern deuten müssen, die seit Jahren auf das Zerbröseln der Europaidee hinwiesen. Schon 1991 galt eine der ersten Eurotazzen dem Thema „Die Ränder brechen weg“. Heute steht in England die oppositionelle Labour Party zwar offiziell noch immer zu Europa, aber der frühere Enthusiasmus ist hin. Bei den Tories herrscht allenfalls darüber Genugtuung, daß man in Maastricht herausgehandelt hat, wieder Alleingänge machen zu dürfen, wenn etwas in Europa nicht klappt. In Spanien mehrt sich die durch den Schein- Boom der achtziger Jahre überdeckte frühere Europaskepsis. Selbst in Griechenland, derzeit Hauptnutznießer der Brüsseler Zuschüsse, herrscht aufgrund des inneren Zerfalls eher Verwirrung als Freude über die EU.

Allen voran aber Italien, das seit fast schon einem Jahrzehnt trotz plebiszitärer Europaliebe seiner Bürger in der Praxis einen immer dezidierteren Anti-Europakurs fährt. Schon Ende der Achtziger waren da zum Beispiel die „Pentagone“-Konferenzen, wo Italien mit den Ostanrainern zu kungeln versuchte (Österreich, Ungarn, Polen und das damals noch einige Jugoslawien). Dann wurde die Mittelmeer-Anrainerkonferenz gegründet. Und neuerdings gibt es Gedankenspiele zu Bündnissen mit Resten Ex-Jugoslawiens und sogar mit Albanien.

Erstmals duckten sich die Italiener auch nicht mehr, als Bundes-Waigel im September 1995 ihrem Land Europauntauglichkeit attestierte. In bis dahin immer europafreundlichen Zeitungen wie der linksliberalen La Repubblica und der industrienahen La Stampa erschienen Artikel, die Großdeutschland als das Übel ausmachten. Die Regierung zeigte ebenfalls Flagge: Ministerpräsident Dini knöpfte sich Kohl und Waigel vor und haderte öffentlich mit Chirac. Im Abgeordnetenhaus mußte die Regierung dann doch wieder bremsen, als die Rechtsopposition drauf und dran war, eine Entschließung durchzubringen, die Maastricht schlichtweg in Frage stellte. Wobei Dini selbst Nachbesserungen für unumgänglich hält. Nur – so klar will er das derzeit nicht sagen, denn Italien muß ja Anfang 1996 die EU- Präsidentschaft übernehmen, und da will er nicht schon vorher in die bereitgestellten Fettnäpfchen treten.Werner Raith