Neuer Denkanstoß unter Sudetendeutschen

■ Sie fühlen sich als „grüne Sudetendeutsche“ und wollen neues Unrecht vermeiden

„Wir wollen für alle Zeiten Frieden zwischen Deutschen, Tschechen und Sudetendeutschen herstellen.“ Der 57jährige Mainzer Psychologe Karlheinz Wunderlich hat sich viel vorgenommen. Er will das zerrüttete deutsch-tschechische Verhältnis kitten und gleichzeitig ein „Modell für die Wiedergutmachung von Vertreibungsunrecht“ schaffen.

Dazu hat der Egerländer den „Gregor-Mendel-Kreis“ ins Leben gerufen. Er und seine knapp zehn Mitstreiter verstehen sich als „grüne Sudetendeutsche“ und wollen innerhalb der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) einen Denkprozeß auslösen. Daß dies nicht einfach ist, mußte Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer beim 46. Sudetendeutschen Tag in München an Pfingsten erleben. Vergeblich bat sie ums Wort, mußte sich Pfiffe und rüde Anschuldigungen gefallen lassen. Sie wollte die Sudetendeutschen vor die Entscheidung stellen, „zurück in ein Land, das es nicht mehr gibt, und zu Ansprüchen, die niemand erfüllen wird, oder vorwärts in ein neu zu gestaltendes Mitteleuropa“ – doch das wollte niemand hören. Für Karlheinz Wunderlich ist klar: Er will kein Zurück. Dennoch müßten seiner Meinung nach die Tschechen „die Vertreibung als ein völkerrechtswidriges Unrecht“ anerkennen und die Beneš-Dekrete, die die Enteignung der Sudetendeutschen regelten, für ungültig erklären: „Auf dem Hintergrund der Geschehnisse in Ex-Jugoslawien kann man Vertreibungen einfach nicht akzeptieren.“

Im Gegensatz zur SL fordert der Gregor-Mendel-Kreis von den Tschechen keinerlei Entschädigung. „Leuten, die nichts haben, kann ich nichts wegnehmen, das wäre doch unmenschlich, außerdem darf kein neues Unrecht entstehen“, lautet Wunderlichs Leitgedanke. Die Bonner Regierung sollte statt dessen der Tschechischen Republik Wirtschaftshilfe sowie Hilfe für ökologische und kulturelle Projekte gewähren. Als ersten Schritt müßte jedoch die Bundesregierung die 17.000 noch lebenden Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft „angemessen entschädigen“ sowie die Aufnahme der Tschechischen Republik in die Europäische Union vorbehaltlos fördern.

Damit steht der „Gregor-Mendel-Kreis“ innerhalb der SL allein auf weiter Flur. Nicht nur der Verzicht auf tschechische Entschädigung oder Rückgabe des ehemaligen Besitztums, sondern auch die geforderte Anerkennung der Vertreibung als Folge des Hitler-Faschismus und als Folge der Mitwirkung der Sudetendeutschen an der Unterdrückung des tschechischen Volkes während des Protektorats stößt SL-Funktionären sauer auf.

Davon will sich Wunderlich nicht abschrecken lassen, erst recht nicht von den maßlosen Forderungen des rechtslastigen Witiko- Bundes. „Das sind doch Leute, die sich wirklich verfolgt fühlen und sich deshalb radikalisiert haben“, analysiert der Psychologe Wunderlich. Er hält Auftreten und Forderungen der Witikonen für schädlich. Mit solchen Positionen verbaue man sich „jede Möglichkeit der Diskussion“.