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Die Protokolle der Weisen von Wandlitz

Rote Nazis und jüdische Verräter: Michael Wolffsohn, der deutsch-jüdische Professor fürs Grobe, hat ein diffamierendes Buch über die Juden in der DDR geschrieben. Er müßte aus dem Historikerverband raus, meint  ■ Michal Bodemann

Auf den ersten Blick ein beeindruckendes Werk. Neun Jahre Arbeit. Recherchen in dreißig Archiven auf drei Kontinenten. Sechs Forschungsassistenten in Lohn und Brot. Dann alles verdichtet auf 400 Seiten Text einschließlich 1.500 Fußnoten. „Die Deutschland-Akte“ heißt das jüngste Produkt von Michael Wolffsohn von der Bundeswehr-Universität in München, ein Professor für Neuere Geschichte mit atemberaubenden 80 Aufsätzen und 20 Büchern in etwa 20 Jahren.

Es geht um „Tatsachen und Legenden über Juden und Deutsche in Ost und West“, präziser: um „Täter und Opfer, Schurken und nützliche Idioten“ jüdischer Herkunft. Michael Wolffson hat sich diesmal vorgenommen, den scheinbar antifaschistischen Alltag der DDR als Propaganda zu entlarven. Es gehe ihm nicht um eine weitere Abrechnung mit der DDR, schreibt er, sondern um die „DDR in uns“, um das „vorgeblich antifaschistische Erbe“ der DDR und um deren „angebliche Bekämpfung des Antisemitismus“. Und er will das „Gehabe“ von „Gysi, Heym & Co-PDS“ sowie von „Juden, die zu dumm, gutgläubig oder schamlos genug waren, dabei mitzumachen“ aufdecken.

Herausgekommen ist bei Wolffsohn keine Geschichte der Juden in der DDR, sondern eine Enthüllungsstory über die schlechten Charaktereigenschaften von Juden in der DDR. Geschrieben in einem Stil, den in Deutschland nur noch die Nationalzeitung besser kann. Und es ist, wenn man mal über die Politpornographie hinwegliest, wissenschaftlich unsauber. Es ist Demagogie.

Begeisterte Würdigung (Spiegel) erntete Wolffsohn für seine gleich im ersten Kapitel – „Roter Staat, braune Jauche, gelbe Farbe“ – gerittene Attacke gegen die Stasi. Dabei geht es um die Strategie der DDR in den 60er Jahren, die Bundesrepublik als Nazistaat zu brandmarken, während sie angeblich zur gleichen Zeit ihre eigenen Ex-Nazis in Amt und Würden hievten. Um Westdeutschland zu destabilisieren, war der Stasi, so erfahren wir in den ersten 85 Seiten, kein Schmutzkübel zu dreckig, keine Gemeinheit zu schäbig.

Schändete die Stasi die Synagoge in Köln?

Zu erfahren ist, daß die Stasi- Hauptabteilung XX/4 ab Ende der 50er Jahre „neonazistische Jugendorganisationen“ (bei Wolffsohn in Anführungszeichen) sowie die westdeutsche Rechte unterwanderte, um sie zu antisemitischen Aktionen zu ermuntern. Die Stasi als Ghostwriter und Ghosttäter von scheinbar originären westdeutschen Neonazis. Nicht Antisemiten der Bundesrepublik haben Weihnachten 1959 die Kölner Synagoge mit Hakenkreuzen geschändet, heißt das zentrale Beispiel, sondern „die Pinsel der Schmierfinken wurden von Stasi, KGB und anderen kommunistischen Geheimdiensten gelenkt. Ost-Emigranten und vermeintlich Kalte Krieger – vor allem Franz Josef Strauß – hätten dies schon immer behauptet, „doch klare Beweise fehlten bisher“.

Doch wie sieht es mit den „klaren Beweisen“ aus, die der Professor für diese altbundesrepublikanische Entlastung aus den dreißig Archiven in drei Kontinenten holt? Schlecht sehen sie aus! Belegt wird die angebliche Destabilisierung der Bundesrepublik durch Counter-Aktivitäten der Kommunisten mit keiner einzigen erkennbaren DDR-Originalquelle. Der einzige, dazu noch indizienhafte Beleg für diese schwerwiegende Anschuldigung ist eine nicht lokalisierbare Aussage eines obendrein noch ungenannten SED-Funktionärs. An weiteren Stellen, wo jeder interessierte Leser den Nachweis sucht, fehlen Anmerkungen völlig oder, noch dubioser, wird „Quellenschutz“ vorgeschützt.

Wolffsohns Beweise sind Spekulationen

Wolffsohns spektakulär angekündigte Enthüllung basiert auf „Beweisen“, die samt und sonders aus dem Westen stammen. Methodisch baut er erst eine Indizienkette für eine selbständige Westtat auf, um sie dann selber grandios zu zerreißen. Das geht so:

Der damalige Präsident des Bundesverfassungsschutzes, der „clevere Günther Nollau“, und „Intimus von Herbert Wehner“ habe bestritten, daß die illegale KPD bei dieser Tat beteiligt war. Er berichtet von zwei Männern in Köln, „die gestanden, die Tat aus eigenem Antrieb begangen zu haben“.

Soweit also die Indizien für Antisemiten aus dem Westen. Und jetzt kommen Wolffsohns Beweise, daß aber hinter den Kulissen die Kommunisten die Fäden zogen, geschickter, als sich „Nollau in seiner Schulweisheit“ erträumen konnte.

1. Nollau habe mit seinen Recherchen nur dem Bundesnachrichtendienst und dessen Chef Gehlen eins auswischen wollen, die eine KPD-Beteiligung nicht ausschlossen. 2. Das Auswärtige Amt (AA) habe schon 1958 bei früheren antisemitischen Vorfällen „Anhaltspunkte“ für eine kommunistische Urheberschaft gehabt. 3. Auch britische und französische Diplomaten hielten eine SED-Täterschaft für möglich. 4. Strauß hätte sich über das AA maßlos geärgert, weil es sich über eine kommunistische Lenkung der Aktion „höchst vorsichtig ausgedrückt hätte“. 5. Strauß schickte dem AA „ausgesuchtes und überprüftes nachrichtendienstliches Material“ in dem 6. folgende Aussage des unbekannten SED-Funktionärs enthalten war: „Die jüngsten Vorgänge in Westdeutschland (also die Schmierereien, d. Red.) kommen uns wie gerufen. Jetzt machen sich die Tausende in die BRD eingeschleusten Gewährsleute bezahlt, deren Einsatz so oft auch in den eigenen Reihen als zu kostspielig kritisiert wurde.“ Und 7., so lautet das inzwischen zum Beweis erhobene Fazit von Wolffsohns Indizienkette: „Passte nicht alles ins Bild... Mit der NS-Keule trieb der Osten einen Keil in die westliche Berlin-Politik.“ Mit Erfolg, denn: „Die antisemitischen Schmierereien waren Anlaß dafür, daß im westlichen Ausland angestaute – im Kalten Krieg verdrängte – antideutsche Gefühle ausbrachen.“

Es ist hinlänglich bekannt und keineswegs, wie Wolffsohn behauptet, eine Enthüllung, daß die DDR im Kalten Krieg die internationale Reputation der Bundesrepublik durch Kampagnen gegen im Westen wiederauferstandene Altnazis wie Hans Globke (Kommentator der Nürnberger Rassengesetze und unter Adenauer Staatssekretär im Bundeskanzleramt) und Theodor Oberländer (NS-Bevölkerungstheoretiker, Vertriebenenminister) zu beschädigen suchte. Wie diese Kampagnen aber im Westen „Antisemitismus produziert haben sollen“, wie Wolffsohn dies permanent behauptet, bleibt sein Geheimnis.

Denn das Gegenteil ist richtig. Diese Kampagnen, gleich welcher Motivation sie auch entsprangen, fungierten als Korrektiv. Sie trugen zweifelos dazu bei, den Neonazismus und den Antisemitismus in der Bundesrepublik gesellschaftlich zu ächten und einzudämmen.

Alte Tatsachen aufgepeppt

Wenig neu sind auch Wolffsohns Erkenntnisse, daß viele kommunistische Juden aus der Emigration in die DDR kamen, um ein „antifaschistisches Deutschland“ aufzubauen, und daß sie von ihrem Staat mißbraucht oder für den Antifaschismus instrumentalisiert wurden. Ebenfalls ist bekannt, daß die DDR sich nicht zu „Wiedergutmachungszahlungen“ verpflichtet fühlte und sich in antizionistischen Haßtiraden ergoß, um die Beziehungen zu den arabischen Staaten zu festigen. Und ebenfalls bekannt ist, daß diese Politik sich erst in den 80er Jahren deutlich änderte, vor allem um die wirtschaftlichen Verbindungen zu den USA nicht zu gefährden.

Mit Wolffsohn zu sprechen, ist dieses Umfeld der „Wald“, und nur um den gehe es, verspricht er, und nicht um die „einzelnen Bäume“. Trotz dieses Postulats aber schreibt Wolffsohn fast nur über die Bäume. Wir lesen über die antiisraelischen und antiwestdeutschen Kampagnen, die Friedrich Karl Kaul, Markus Wolf, Albert Norden und insbesondere Gregor Gysi und sein Vater Klaus ausgeheckt haben oder haben sollen. Wir erfahren Schweinereien, die der ungarische „Stasi-Rabbi“ oder die Vorsitzende des Jüdischen Kulturvereins, Irene Runge, begangen haben. Wir hören viel über „vermeintliche“(?) Juden wie den Devisenbeschaffer Schalck-Golodkowski und vermeintliche (aber dann doch nicht) Stasi-Agenten wie Heinz Galinski. Und wir lernen, daß Kulturschaffende wie die SchriftstellerInnen Anna Seghers, Arnold Zweig, Stephan Hermlin und Stefan Heym allesamt „naiv“, „feige“, „loyale Ruhestörer“ oder „schamlose Diffamierer“ waren.

Nazismus, Stalinismus – alles eins

Wolffsohns Wald ist anderer Natur. Der erste ist seine Gleichsetzung von Nazismus und Stalinismus, die positive Erwähnung seines Mentors Ernst Nolte ist hier mehr als nur ein Fingerzeig. Das DDR-Regime sei mit ehemaligen Nazis besetzt und die Kontinuität von Nazismus und Stalinismus auch in persona zu sehen, lautet seine These. Wolffsohns Paradebeispiel ist hier der ehemalige DDR-Außenhandelsminister Gerhard Beil. Beil trat der NSDAP 1944 mit 18 Jahren bei. Ihn auf der einen Seite permanent als Ex-Nazi zu brandmarken, andererseits aber Georg Kiesinger in Schutz zu nehmen ist bezeichnend.

Wolffsohns zweiter Wald ist sein deutsch-jüdisch-israelischer Patriotismus. Positiv bewertet werden alle westdeutschen Politiker und das jüdische Establishment, die diesen aufs Panier hoben: Konrad Adenauer, Franz Josef Strauß, auch Werner Nachmann, der ehemalige und in Betrügereien mit Entschädigungszahlungen verwickelte Chef des Zentralrats der Juden in Deutschland. Über alle anderen, über die Internationalisten oder Antizionisten, ergießt sich seine Häme, seine ganze Wut, sein ganzes obsessives, sensationslüsternes Denunziantentum. Ein paar Beispiele dazu.

Heinrich Fink, der geschaßte ehemalige Direktor der Humboldt-Universität in Berlin (IM „Heiner“), sei ein „skrupelloser Scheinfreund der Juden“ gewesen, dem Nobelpreisträger Eli Wiesel „auf dem Leim“ ging. Scheinfreund nennt Wolffsohn Heiner Fink, weil er mit „DDR-Hofjuden“ dafür gewesen sei, daß in den 80er Jahren dem Ostberliner Magistrat erlaubt wird, eine Autostraße über den Jüdischen Friedhof in Weißensee zu leiten. Doch für diese Behauptung hat Wolffsohn nicht den leisesten Krümel von Beweis, nicht einmal Indizien. Tatsächlich hat Fink seine eher überschwengliche Sympathie zu Juden und zu Israel geradezu karriereschädigend unter Beweis gestellt. Nachdem Fink im Junikrieg 1967 seinen israelischen Freunden ein Solidaritätstelegramm schickte, erhielt er vom DDR- Staat ein Israel-Kontaktverbot.

Auch Peter Kirchner, der ehemalige Gemeindevorsitzende von Ost-Berlin, wird mit Dreck beworfen. So habe er im Auftrag der Stasi 1987 die Tagung des Jüdischen Weltkongresses in Budapest bespitzelt. Eine „differenzierte Einflußnahme „sollte er auch auf die beiden anderen DDR-„Beobachter“, Sigmund Rotstein und Herman Simon, ausüben. Es bleibt nur ein kleines Problem ungelöst. Kirchner war nachweislich überhaupt nicht in Budapest. Wolffsohns Behauptung, Kirchner sei ein Stasi-Spitzel gewesen, wird ebenfalls nicht mit Quellen belegt, sondern anhand von fragwürdigen Indizien konstruiert.

Ahnenforschung nach Gestapo-Art

Ebenfalls unerträglich ist Wolffsohns Gestapo-artige Ahnenforschung über die Familie Gysi. Er schreibt wörtlich: „Gegenüber Vertretern amerikanisch-jüdischer Organisationen gab (Gysi) sich 1983 als „part jew“, also „Halbjude“, zu erkennen. Nun hatte er seine jüdischen Wurzeln wieder entdeckt. Einen unangenehmen Beigeschmack hatte auch diese Wiederentdeckung. Sie wurde mit Kategorien der NS-Zeit beschrieben: „Halbjude“. Richtig ist aber, daß nicht Gysi, sondern Wolffsohn die NS-Kategorie „Halbjude“ benutzt. Er tut dies, indem er das indirekte Zitat eines jüdischen Funktionärs über Gysi – nämlich „Gysi indicated that he is a part Jew“ – zu einem Zitat von Gysi umbiegt.

Das Üble an diesem pseudowissenschaftlichen Buch ist, daß mit der Behauptung, die DDR habe den Antisemitismus im Westen erzeugt, um selbst antifaschistisch prima dazustehen, bundesrepublikanische Weißwäscherei betrieben wird. Ob Wolffsohn mit seinem schamlos tendenziösen Buch neuen/alten Antisemitismus erzeugen kann, bleibt abzuwarten. Futter – nach dem Motto: Was ich immer schon meinte, aber der Jude Wolffsohn endlich sagt – bietet es genug.

Dieses zutiefst unethische Buch ist eine beispiellose Niederträchtigkeit, und der deutsche Hochschulverband und der Historikerverband sollten sich überlegen, ob die Praxis eines derartigen Kollegen mit ihrem Berufsethos überhaupt in Einklang zu bringen ist. Schändlich darüber hinaus, daß dieser Person die Ehre zuteil wurde, bei der zentralen Gedenkfeier zum Volkstrauertag die Gedenkrede zu halten. Hoffentlich werden die Verunglimpften dazu nicht schweigen.

Michael Wolffsohn, „Die Deutschland-Akte, Juden und Deutsche in Ost und West“, Edition Ferenczy/Bruckmann Verlag, München 1995, 396 S., 44 DM

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