■ Querspalte
: Das dicke Ende

Für den Kannibalen war die Sache relativ einfach: Er schlug seinem Feind den Schädel ein, verputzte Arm oder Bein und schlürfte zuletzt das Hirn aus dem zerdepperten Kopf. Das gab neue Kraft und hatte auch noch metaphysische Bedeutung: Der Tote lebte weiter in seinem Mörder. Auf dem Weg in die Zivilisation verfeinerte sich das Verfahren etwas, man erfand Seelenwanderung und Wiedergeburt; einige wurden sogar Vegetarier.

Ganz vergessen ist die Tradition aber nicht. Der Spiegel brachte Ende März ein Gespräch mit dem todkranken Tagesthemen-Sprecher Hanns Joachim Friedrichs. Der Spiegel hatte Glück, wie man in unseren Kreisen sagt, Friedrichs überlebte sein Interview nur um einen Tag. Der Spiegel verkaufte sich blendend, der Stern aber ärgerte sich.

Er muß sich gewaltig geärgert haben, der Tote ließ ihm keine Ruhe, also gönnt ihm auch der Stern keine. Er schickte den „Journalisten und Buchautor“ Hermann Schreiber noch nachträglich ans Sterbelager. Es war ein „kalter, mit Schnee garnierter Märztag“, raunt Schreiber. Traurig alles, doch im Haus war „das Lachen nicht verstummt“. Obwohl, ein bißchen muß Schreiber schon schlucken, aber „die meisten waren Journalisten oder Medien- Menschen, denen Befangenheit so fremd ist wie Pathos“. Lag doch jeder mal vor Madagaskar und hatte die Pest am Hals. Es ist aber nicht alles aus: „Wo immer du dann auch sein wirst, Hanns, du wirst dabeisein“, versichert ihm Uli Wickert. Und dann tranken sie und sangen sie und tranken wieder. „Ja, natürlich haben wir auch geweint ...“ Aber, was soll's, dabeisein ist alles.

Es ist wahrscheinlich nicht besonders lustig, wenn man sterben muß. Friedrichs, das steht auch in dieser trauergeränderten finalen Stern-Reportage, war bereits geschwächt, als die „Journalisten oder Medien-Menschen“ in sein Krankenzimmer einfielen. Es fehlte ihm die Kraft, die ganze leichenschänderische Bande rauszuschmeißen.

Kannibale war noch ein ehrenwerter Beruf. Willi Winkler