■ Österreich: Ist Jörg Haider für immer entzaubert?
: Dissident bremst Rebellen

Wenn dieser österreichische Wahlgang einen Sinn hatte, dann den einen: Nach neun Jahren Großer Koalition wurden die Regierungsparteien – Sozialdemokraten und Volkspartei – wieder unterscheidbarer, es gibt inhaltliche wie koalitions-kombinatorische Alternativen. Jetzt wird gejubelt: Haider verlor erstmals, und die Volkspartei, die mit bisher unbekanntem Elan in diesen Wahlkampf gezogen war, stagniert, sie gewann nichts. Dieses Debakel der ÖVP wurde nur durch das frivol-freche Auftreten ihres Vormannes Schüssel am Wahlabend kaschiert.

Dennoch mischt sich Kummer in die Freude der Sozialdemokraten. Alternativen zur Großen Koalition bleiben rechnerisch unmöglich, weil die beiden kleineren Ampelparteien, vor allem die Grünen, versagten. Der innere Mechanismus der Großen Koalition mag zwar renoviert werden, das Grunddilemma der österreichischen Innenpolitik wird aber bestehen bleiben: Hier die etablierte Politik, die sich in großkoalitionärem Trübsinn lähmt, da der Rebell Jörg Haider. Nichts spricht dafür, daß dessen Aufstieg durch den Wahlgang vom Sonntag gestoppt ist.

Sicher, der Nimbus des ewigen Siegers ist gebrochen. Andererseits konnte die Sozialdemokratie – trotz ihres klassenkämpferischen Wahlwerbens um die „kleinen Leute“ – nur wenige jener Wähler zurückgewinnen, die sie zuletzt an die Freiheitlichen verloren hatte.

In einer beinahe optimalen Grundposition gelang es bloß, Haiders Aufstieg zu unterbrechen, nicht aber, seine mittlerweile beträchtliche Basis zu unterhöhlen. Eine Grundposition, die sich bei kommenden Wahlgängen nicht einfach wiederholen wird: Die Volkspartei mimte, erstmals seit 1986, wieder den realistischen Herausforderer. Die Sozialdemokratie startete aus der Position des Verratenen, kämpfte gegen ein konservatives Grundklima, das den Austeritätsplänen der ÖVP günstig schien, hatte praktisch alle Medien des Landes gegen sich und wandelte diesen Nachteil in einen Vorteil um. Man konnte SPÖ wählen und dies als Akt der Dissidenz wähnen.

Franz Vranitzky konnte Haider, den etablierten Rebellen, bloß bremsen, weil er selbst die Rolle des etablierten Dissidenten annahm. Es wird eine Zeit kommen, in der es Haider wieder leichter hat. Robert Misik