In Schweden werden die ersten AKW abgewickelt

■ Parlament übergeht aber die Volksabstimmung: Nach 2010 weiter Atomstrom

Stockholm (taz) – Heute laufen noch zwölf Atomreaktoren in Schweden. Im Jahr 2010 sollen es nur noch sechs bis acht sein. Das legte die Mehrheit einer parlamentarischen Energiekommission in einem gestern veröffentlichten Bericht über die „Abwicklung“ der Atomkraft in Schweden fest. Damit halten sich die PolitikerInnen, die heute das Sagen haben, nicht an den Reichstagsbeschluß von 1980. Damals war nach einer Volksabstimmung festgelegt worden, daß spätestens am 31.12.2010 das letzte AKW abgestellt wird. Aber immerhin beginnt mit dem Beschluß nun tatsächlich der Ausstieg aus der Atomenergie.

1998 soll der erste Reaktor abgestellt werden. Auf einen genauen Zeitplan für weitere Stillegungen haben sich die Reichstagsparteien zwar nicht einigen können. Aber nach den Zahlen über den künftigen Energiebedarf des Landes können ohne größere Probleme für die Stromversorgung vier bis sechs Reaktoren bis 2010 vom Netz genommen werden. Wollte man aber bis zum Jahre 2010 vollständig aus der Atomenergie aussteigen, so die Mehrheitsmeinung des Kommissionsberichts, ginge dies nur über Erdgaskraftwerke als Ersatz und damit eine massive Steigerung der landesweiten Kohlendioxidproduktion. Für eine Umstellung auf umweltfreundliche Energiequellen reichten die nächsten 15 Jahre nämlich nicht aus.

Das ist nur die halbe Wahrheit. Zum einen wurden die vergangenen 15 Jahre seit der Volksabstimmung nicht zur Umstellung genutzt. Zum anderen könnte ein sparsamer Umgang mit dem Strom selbst nach eher konservativen Berechnungen ein Drittel aller AKW auf der Stelle überflüssig machen. Die Grünen haben gar einen Einsparungsfaktor von 50 Prozent errechnet.

Doch Sparen funktioniert nur über den Markt. Die Stromwirtschaft hat kein Interesse daran, weniger Kilowattstunden zu verkaufen. Und Energiesparen lohnt sich erst, wenn die Strompreise steigen. Die regierenden SozialdemokratInnen beteuern zwar ständig den politischen Willen, diese Entwicklung über grüne Steuern anzuschieben. Wenn es aber um konkrete Maßnahmen geht, verhalten sie sich halbherzig. Für die großen industriellen Stromfresser ist die Kilowattstunde für ein paar Pfennige zu haben, und ein schwedischer Olof Svensson zahlt nicht einmal ein Drittel dessen, was ein deutscher Otto Normalverbraucher für Strom ausgeben muß. So machen die Zahlen des Berichts der schwedischen Energiekommission klar, daß es nicht technische Begrenzungen sind, die den Ausstieg aus der Atomenergie bis zum Jahre 2010 angeblich unmöglich machen, sondern allein der fehlende politische Wille. Am unschätzbaren Wettbewerbsvorteil des spottbilligen Stroms für die stromfressende Industrie trauen sich nur Parteien mit grüner und bäuerlicher Klientel zu rütteln. Die Grünen, das Zentrum und – noch schwankend – die exkommunistische Linkspartei halten den Ausstieg für machbar.

Es dürfte jetzt der Pannenreaktor Ringhals 2 sein, der zuerst abgestellt wird. Gefolgt wird er vermutlich von den beiden Reaktoren des Atomkraftwerks Barsebäck, die im dichtbesiedelten Südschweden und in Sichtweite Kopenhagens völlig fehlplaziert sind. Reinhard Wolff