„Gretl macht jetzt auf Asyl“

Veteranentreffen am WAA-Bauzaun in Bayern zum 10. Jahrestag des Rodungsbeginns – von der Gegenseite kam nur ein ehemaliger Polizist  ■ Aus Wackersdorf Bernd Siegler

Sie sind nicht mehr vermummt, fahren keine schrottreifen Autos mehr, haben inzwischen Kinder, und die Steine bleiben auch unbeachtet am Wegrand liegen. Etwa hundert eingefleischte Gegner der im Wald bei Wackersdorf geplanten Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) trafen sich zehn Jahre nach Rodungsbeginn und dem ersten Anti-WAA-Hüttendorf zu einem Waldspaziergang an der Stätte erbitterter Zaunkämpfe und kilometerlanger Demonstrationen wieder. „Da unten haben wir die erste Barrikade gebaut, und von dort sind die Polizisten mit ihren Schlagstöcken gekommen“, erzählen sie, während sie in Richtungen weisen, wo heute nur Bäume oder Ginsterbüsche zu sehen sind.

Wo einst der wuchtige, 28 Millionen Mark teure Spezialzaun die größte Baustelle der Republik schützte, umschließt jetzt ein simpler grüner Maschendraht das 130 Hektar große Areal. Am sogenannten „Chaoteneck“ prangt heute das Schild „Industriegebiet Westlicher Taxöldener Forst“. Neue Straßen erschließen das Gelände, künstliche Hügel wurden aufgeschüttet. Selbst alte WAA- Kämpfer, die sich damals blind im Wald zurechtfanden, kommen da mit ihrer Orientierung ins Schleudern. „Das Chaoteneck, war das hier oder dort drüben?“

Die Gespräche der Veteranen drehen sich um die über vier Jahre andauernden harten Auseinandersetzungen am Bauzaun. Ende Mai 1989 kam endgültig das Aus für die WAA. Der Stromwirtschaft war die Anlage zu teuer geworden. Die WAA-WiderständlerInnen reklamieren das Ende des Jahrhundertbauwerks jedoch für sich. „Ohne unseren Widerstand wäre das damals nicht gestoppt worden“, ist sich Irmgard Gietl ganz sicher. Die 66jährige ist heute noch aktiv gegen die Atompolitik. „Damals haben uns Menschen aus Gorleben unterstützt, jetzt müssen wir sie unterstützen“, betont sie. Der Kuchen- und Glühweinverkauf beim Waldspaziergang geht denn auch zugunsten der Bürgerinitiative im Wendland.

Nahezu ihr gesamtes Privatleben hat die Hausfrau dem WAA- Widerstand gewidmet. „Aber ich bereue keine Sekunde“, betont sie und freut sich, daß sich das ZDF bei ihr zu Dreharbeiten angesagt hat. Sie soll in der Reihe der fünf mutigsten Frauen Deutschlands porträtiert werden. „Da gehöre ich doch eigentlich gar nicht dazu“, lacht die Rentnerin. Angst hätten sie damals gehabt, Angst vor den überharten Polizeieinsätzen, vor dem CS- und CN-Gas, von dem sie einen Lungenschaden davongetragen habe. Nur die Wut hätte die Angst beiseite gefegt.

Kopfschüttelnd quittiert Frau Gietl, daß die Oberpfälzer bereits kurze Zeit nach dem WAA-Aus ihr Kreuz wieder bei der CSU gemacht haben und auch heute noch machen. „Der Oberpfälzer vergißt eben schnell“, beschreibt sie die Mentalität der Einheimischen. „Wenn die das aber noch einmal hier versuchen sollten, dann werden sich die Oberpfälzer wieder genauso dagegen wehren“, glaubt sie.

Viele WAA-GegnerInnen haben sich jedoch ins Privatleben zurückgezogen. „Ein paar mehr hätten schon kommen können“, lautet der Tenor der Anwesenden, die die Neuigkeiten aus den letzten Jahren austauschen. „Die Gretl macht jetzt auf Asyl und die Erna gegen Nazis“, erzählen sie sich. Enttäuscht ist man, daß der einstmals in Schwandorf und am Bauzaun sehr stark vertretene Schwarze Block aus Berlin, Hamburg und anderen Großstädten durch Abwesenheit glänzt.

Von der damaligen „Zaunfraktion“ ist nur Peter Panke beim Waldspaziergang dabei. Der 39jährige arbeitet heute als Programmierer. Damals war er zusammen mit etwa vierzig Oberpfälzern bei Nacht und Nebel am Bauzaun und trieb seine Späße mit den Polizisten. „Nein, nein, ich kann nicht erzählen, was wir damals alles gemacht haben“, wehrt er entschieden ab. Es sei zwar alles verjährt, aber man könne ja nie wissen. Und dann erzählt er es doch, wie toll es war, als man das erste Stück des als unbeschädigbar geltenden Superzaunes herausgesägt hatte. Panke wurde mehrmals verhaftet, ein paar der insgesamt 4.000 Ermittlungsverfahren im Zuge des WAA-Widerstands liefen gegen ihn.

Polizisten, die damals am Bauzaun eingesetzt waren, haben sich beim WAA-Revival-Waldspaziergang nicht blicken lassen. Nur Hans Weigl kehrte an die Stätte zurück, an der er endgültig vom Polizeiberuf Abschied nahm. Er war damals Polizeihauptwachtmeister in München-Schwabing. Im März 1996 war er als WAA-Gegner bei einer Demonstration dabei und sah, wie seine Kollegen einen Demonstranten mit dem Schlagstock traktierten. Er drängte die Polizisten beiseite und wurde festgenommen. Man warf ihm sogar vor, aus einer gewalttätigen Menge heraus einen Stein gegen die Beamten geschleudert zu haben. Das Verfahren wurde zwar niedergeschlagen, aber Weigl quittierte sofort den Polizeidienst. Heute arbeitet der 33jährige in einer Brauerei und möchte nichts mehr von seinem früheren Beruf wissen.

Die Erfahrungen mit der Polizei haben die meisten Veteranen nachhaltig geprägt, auch Erna Wellnhofer (70), die heute einen Naturkostladen in der Kreisstadt Schwandorf betreibt. „Jedesmal, wenn ein Polizeibeamter meinen Laden betritt, erschrecke ich. Dagegen kann ich gar nichts machen.“