Pflegeleichter Datenschützer gesucht

Die Datenschutzbeauftragte Ruth Leuze gibt nach 16 Jahren ihr Amt auf – aus Verärgerung über den SPD-Innenminister und den Datenwahn der Polizei. Stelle ausgeschrieben  ■ Aus Stuttgart Phillip Maußhardt

Aus Verärgerung über den baden-württembergischen Innenminister Frieder Birzele (SPD) hat die Datenschutzbeauftragte Ruth Leuze gestern ihren Verzicht auf eine weitere Amtsperiode bekanntgegeben. Birzele habe sich autoritär und anmaßender ihr gegenüber verhalten als der CDU- Vorgänger, klagte Frau Leuze. Sie warf Birzele vor „am Fundament des Datenschutzes gerüttelt“ und sie mehrfach „unter Druck gesetzt“ zu haben: „Ihm ging Macht vor Anstand und Respekt.“

So hart ging die bundesweit bekannte Datenschützerin bisher noch nie mit einem Minister ins Gericht wie auf der gestrigen Pressekonferenz in Stuttgart, auf der sie ihren 16. und gleichzeitig letzten Tätigkeitsbericht der Öffentlichkeit vorlegte. Leuzes Zorn rührt vor allem aus enttäuschter Hoffnung. In ihrer Oppositionszeit habe die SPD sich ständig für den Datenschutz stark gemacht. Kaum aber seien die Sozialdemokraten durch die Große Koalition von 1992 selbst an der Macht beteiligt gewesen, habe sich das grundlegend geändert. Leuze: „Ich habe das nicht für möglich gehalten.“

Schon kurz nach seinem Amtsantritt hatte Birzele den Einsatz von verdeckten Ermittlern verteidigt, die in Tübingen eine linke Wohngemeinschaft ausspionierten. Seither gab es immer wieder Grund für die Landesbeauftragte, das Verhalten der Polizeibehörde zu kritisieren. Der genervte Birzele habe deswegen „eine Schlammschlacht ohnegleichen“ gegen sie begonnen, die schließlich darin gipfelte, daß er ohne ihr Wissen die Stelle der Datenschutzbeauftragten öffentlich ausgeschrieben habe.

Leuzes zweite Amtszeit läuft zum ersten April aus. Danach hätte die 59jährige Juristin eigentlich noch einmal für eine weitere acht Jahre währende Amtszeit zur Verfügung gestanden.

In ihrem jetzt vorgelegten Bericht kritisierte Leuze erneut den Datenhunger der Polizei. So sei die Bewerbung eines jungen Mannes nur deswegen von der Bereitschaftspolizei in Freiburg abgelehnt worden, weil er als 13jähriger einmal einen Mercedes-Stern abgebrochen hatte und seither gespeichert blieb. „Speichern, speichern, speichern – nach diesem Motto verfährt die Polizei noch viel zu oft“ und lösche selbst dann die Daten nicht, wenn nichts an den Vorwürfen dran ist, sagt Leuze. Als im September 1995 in Stuttgart angeblich „Chaostage“ stattfinden sollten, hätten Beamte wahllos junge Leute fotografiert, gefesselt, durchsucht und stundenlang festgehalten, „nur weil sie einen Kapuzenpulli trugen oder szenetypisch aussahen“.

Leuze leitet noch bis Ende März die von ihr aufgebaute 15köpfige Minibehörde. Sie ist dem Innenministerium angegliedert – ein Geburtsfehler, der bislang immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen ihr und ihrem Dienstherrn führte.

Zuletzt hatten sich beide – Datenschützerin und Innenminister – im Sommer des Jahres dabei übertroffen, in Pressekonferenzen den anderen zu beschimpfen. Leuzes Fazit daraus: „Noch nie war die Unabhängigkeit der Datenschutzkontrolle solchen Attacken ausgesetzt wie 1995.“

Die unbequeme Datenschützerin geriet auf einsamen Posten. Als die CDU/SPD-Regierung vor wenigen Wochen eine eigene Gesetzesinitiative zum großen Lauschangriff startete, wurde die Datenschützerin schon gar nicht mehr um Rat gefragt. Die Bürger werden „durchsichtiger und manipulierbarer“, klagt die Frau mit der sanften Stimme und dem braven Haarschnitt, die 16 Jahre der Schrecken vieler Sachbearbeiter auf den Meldebehörden war.

Daß künftig die Einwohnermeldeämter jeden Umzug und Sterbefall den Rundfunkanstalten melden dürfen, um dadurch Schwarzhörer und -seher zu ermitteln, hält sie für ebenso abwegig wie die Entscheidung des Innenministeriums, Wahlzettel in Zukunft farbig zu kennzeichnen, um dadurch Rückschlüsse auf Alter und Geschlecht der Wähler anstellen zu können.

Auf den oder die Nachfolgerin von Ruth Leuze wartet viel Arbeit – und Ärger.