: Mörder unterm Tannenbaum
Serienkiller, Gattenmörder, Erpresser und Racheengel: Krimitips zum Weihnachtsfest ■ Von Karl Wegmann
„Drauß' vom Walde komm' ich her“, heißt es in dem Gedicht, in dem es so sehr weihnachtet. „Das Böse kommt auf leisen Sohlen“, behauptet Ray Bradbury. Die Heilige Nacht und die unheilige Tat gehören zusammen wie Marzipan und Blausäure – in diesem Sinne hier ein paar Geschenktips:
Psychothriller
Amnesie ist ein klassisches Krimithema und eigentlich reichlich ausgelutscht. Daß die Sache mit dem Gedächtnisverlust immer noch funktionieren kann, beweist Judy Mercer mit ihrem Erstling „Die Fremde im Spiegel“: Eine Frau wacht auf, hat eine Beule am Kopf und weiß nicht, wer sie ist. Sie schaut in den Spiegel und kennt das Gesicht nicht, das sie sieht. Die Wohnung, in der sie sich befindet, ist ein einziges Chaos, sie trägt ein blutiges Sweatshirt, und auf dem Bett liegt ein Revolver, der aber nicht abgefeuert wurde. Damit ist das Rätsel installiert, die Lösung könnte beginnen. Doch so leicht macht es sich und uns Judy Mercer nicht.
Aus einer genretypischen Wer- bin-ich-Was-habe-ich-getan-Situation knüpft sie äußerst geschickt einen gordischen Knoten – ein Alexander ist jedoch nicht in Sicht. Die Heldin findet heraus, daß sie Ariel Gold heißt und eine berühmte TV- Journalistin ist. Doch soviel sie auch über ihr früheres Leben erfährt: Sie bleibt sich fremd. „Es war nicht nur so, daß ich mich an nichts erinnern konnte“, erzählt sie dem Psychiater, „es war vielmehr so, daß ich nicht ich war.“ Selbst ein Krimivielfresser kommt hier lange nicht dahinter, wie der Hase läuft. Judy Mercer hat das Thema Amnesie so wiederbelebt, daß ihr Buch kaum als Einschlafhilfe geeignet ist.
Judy Mercer: „Die Fremde im Spiegel“, List, geb., 448 Seiten, 39,80 DM
Whodunit
Einer der sympathischsten Krimihelden der letzten Zeit ist der leicht tolpatschige Astronom Lomax. Seinen Auftritt hat er in Liz Rigbeys „Der Tag, an dem die Sonne verschwand“. Lomax arbeitet an einem Observatorium in den kalifornischen Bergen und ist recht glücklich damit, Sternenhaufen, Supernovas und einen kleinen Meteorschauer über Japan zu beobachten. Das ändert sich schlagartig, als sein Chef eine neue Assistentin einstellt. Julia Fox ist umwerfend, alle Wissenschaftler des Instituts sind schlagartig verknallt. Lomax – er weiß selbst nicht, wie ihm geschieht – macht das Rennen. Dann stellt sich heraus, daß Julia Fox verdächtigt wird, ihren Mann und ihre Stieftochter umgebracht zu haben. Prompt macht sich Lomax mit wissenschaftlicher Akribie daran, Entlastungsmaterial zu sammeln, kann aber nicht verhindern, daß Julia schließlich verhaftet wird. Gleichzeitig passieren im Observatorium seltsame Dinge. Mobbing ist angesagt, Lomax wird gefeuert. Als er die lang erwartete Sonnenfinsternis betrachtet, geht ihm endlich ein Licht auf ...
Liz Rigbey: „Der Tag, an dem die Sonne verschwand“, Heyne, geb., 580 Seiten, 44 DM
Beinhart
Wenn ein Roman mit folgendem Hinweis beginnt, kann es sich nur um einen Krimi von Carl Hiaasen handeln: „Dieses Buch ist reine Fiktion. Alle Namen und Personen sind Phantasieprodukte und werden als solche verwendet. Die beschriebenen Vorfälle sind ebenfalls der Phantasie entsprungen, obgleich die Darstellung von Oben-ohne-Ringkämpfen in süßem Mais mit Schlagsahne auf Tatsachen basiert.“ Hiaasen ist Reporter und Starkolumnist des Miami Herald und gehört mit seinen ironischen, gesellschaftskritischen Romanen zu der kleinen Spitzengruppe lebender Thriller- Autoren, die bösen Humor und spannende Plots perfekt verknüpfen. In „Unter die Haut“ ging's um Schönheitschirurgie im Sunshine State, in „Große Tiere“ um die rücksichtslose Vernichtung der Everglades. Hiaasens vorläufig letzte Abrechnung heißt „Nachtclub“ und nimmt die skrupellosen Geschäftemacher der Zuckerindustrie aufs Korn. Die Heldin ist Erin, eine Nackttänzerin in einem billigen Stripschuppen. Eines Nachts besucht der korrupte Abgeordnete Dilbeck in einer absurden Verkleidung das „Eager Beaver“ und macht Stunk. Der besoffene Politiker, der Floridas Zuckerbaronen gerne überhöhte Agrarsubventionen zuschanzt, wird erkannt und ist reif für eine kleine Erpressung. Natürlich eskaliert die Sache, beinhart und ätzend wie bei Hiaasen üblich.
Carl Hiaasen: „Nachtclub“, Goldmann, geb., 510 Seiten, 46,80 DM
Serienkiller
Vorsicht: Dieser Krimi-Tip kommt für Weihnachten (etwas) zu früh! Aber es gibt ja auch in Buchhandlungen Geschenkgutscheine. Also aufgepaßt, Liebhaber schweigender Lämmer: Am 18. Januar erscheint „Ich weiß, wer du bist“ von Daina Grazuinas und Jim Starlin. Ihr Held heißt David Vandemark, ist hauptberuflich natürlich Serienkiller, aber durchaus sympathisch, denn er meuchelt: Serienkiller. Das ist neu. Zugegeben, eine verrückte Idee, aber es funktioniert, die Geschichte ist packend. Vandemark wird zum Mörder, als seine Frau und seine Tochter von einem brutalen Killer umgebracht werden. Rache ist fortan sein Metier. Er reist als Totmacher durchs Land, bedauert nur, daß er Jeffrey Dahmer nicht rechtzeitig erwischt hat. Die Bundespolizei ist seit Jahren hinter ihm her, kommt aber immer zu spät. Dann hat Vandemark in New York zu tun, kommt aber in Schwierigkeiten, denn er verliebt sich... Schöner Konflikt. Steven Spielbergs Produktionsfirma Amblin hat die Filmrechte schon gekauft.
Grazuinas/Starlin: „Ich weiß, wer du bist“, Bertelsmann ab Mitte Januar, ca. 400 Seiten, 42 DM
Politthriller
Der Mann ist politisch unkorrekt, keine Frage. Trotzdem, die Polit- und Hightech-Thriller, die Tom Clancy („Jagd auf Roter Oktober“) schreibt, sind überwiegend nervenzerfetzend. Sein vorletztes Buch allerdings nicht. „Gnadenlos“ war eine billige Ein-Mann- sieht-rot-Story. Jetzt ist Clancy wieder voll da – zusammen mit Co- Autors Steve Pieczenik. Der ist von Beruf Psychiater und arbeitete als Vermittler bei Geiselnahmen und als Krisenmanager während der Amtszeit von Henry Kissinger, Cyrus Vance und James Baker. Das Buch nennt sich „Tom Clancys OP-Center“, ist aber besser, als der alberne Titel vermuten läßt: Ein zweiter Koreakrieg droht. Auf einer Veranstalung in Seoul kommt bei einem Bombenanschlag die südkoreanische Frau des US-Diplomaten Gregory Donald ums Leben. Donald zweifelt an der offiziellen Version, es handele sich um ein Attentat der nordkoreanischen Regierung. Die Krise wird immer heißer. Als Donald sich fragt, wer von einem Krieg zwischen Nord- und Südkorea profitieren würde, erkennt er seine Gegner. Die Autoren zeigen auf, wie wenig es braucht, eine internationale Krise auszulösen, in Zeiten, wo „Stärke“ zählt. Und die große Überraschung: Diesmal ist Tom Clancy politisch korrekt!
Clancy/Pieczenik: „Tom Clancys OP-Center“, Heyne TB, 350 Seiten, 14,90 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen