Wühltisch
: Verstellbare Kopfgröße

■ Übers Ohr gehauen: Die Welt trägt Kappen und andere Mützen

Das Handy liefert nicht zuletzt Hinweise auf den raschen Zeichenschwund im Reich des Luxus und der Moden. Wenn es nebenan im Boss-Jackett surrt oder in der Bundfaltenhose zirpt, darf man davon ausgehen, daß es sich beim Träger um den Angehörigen einer an Informationen orientierten Gruppe handelt. Mitglied einer Elite ist er deshalb nicht. Das Wort von der Info-Elite ist denn auch eher aus der Unsicherheit geboren, neue Eliten ausfindig zu machen. Weiterhin gilt: Wer auf sich hält, hat kein Handy, sondern einen Sekretär.

Ein anderes Beispiel für die Okkupation von Prestigesymbolen gibt indes die Mütze ab. So finden sich auf den exklusiven Golfplätzen dieser Welt, wo viel von Handicaps, aber wenig von sozialen Rangunterschieden die Rede ist, allerlei Variationen der sogenannten Schiebermütze. Die eigentlichen Schieber, laut dtv-Lexikon kleine Börsenspekulanten, die Warentermingeschäfte verschoben, trugen sie gar nicht. Ihren despektierlichen Namen bekam die karierte Schirmkappe erst, als man die undurchsichtigen Geschäfte kleiner Straßenganoven Schiebung nannte.

Der Mütze ging es in diesem Fall wie den Opfern der Delinquenten, „sie wurde übers Ohr gehauen“. Das Schicksal, von einer distinktionsversessenen Schicht angenommen zu werden, mußte seinerzeit die Baskenmütze erdulden, die zunächst vor allem von Fischern in der Biskaya-Region getragen wurde. Die schirmlose Mütze wird bekanntlich aus Filz geformt, wobei die überstehenden Enden der Kettelfäden in der Mitte zusammenlaufen und schließlich den charakteristischen Zipfel ergeben, der auf die Intellektuellen aller Länder großen Eindruck machte.

Die Baskenmütze bedeutete für Richard Wagner (Musiker) nicht minder als für Rudi Dutschke (Revolutionär), daß man geistig auf der Hut ist. Die sozialen Aneignungsprozesse verlaufen keineswegs nur von unten nach oben oder umgekehrt, sondern kreuz und quer. Die Zeichen wechseln so schnell, wie ein kleiner Lederball fliegt, wenn er von einem Holzknüppel geschlagen wird. Eine Baseballmütze wird längst auch von denen aufgesetzt, die die namensgebende Sportart mit jener verwechseln, die O.J. Simpson ausgeübt hat.

Daß die Schirmmütze in unseren Zeiten eng mit dem Sport verbunden ist, belegen weitere Beispiele. Unser „Mann mit Mütze“, Helmut Schön (Fußballtrainer), gestattete der Schiebermütze eine gnädige Wiederkehr als Zeichen des Biedersinns. Für David Wottle (Läufer) war sie sowohl eine praktische Kopfbedeckung zum Zusammenhalten der Haarpracht wie ein augenfälliges Unterscheidungsmerkmal einsetzender Individualisierungskämpfe. Niki Lauda (Rennfahrer) glaubt, eine unfallgeschädigte Gesichtshälfte verbergen zu müssen.

Für Axel Schulz (Boxer) und Michael Schumacher (Rennfahrer) ist die Kappe unterdessen zu einer zweckmäßigen Erweiterung des Körpers als Werbefläche geworden. Bei Franziska van Almsick (Schwimmerin) hingegen nehmen wir das Käppi gewissermaßen totemistisch, als Kultzeichen ihrer Jugendlichkeit.

Schlaue Soziologen haben derweil erklären können, warum gerade die Baseballmütze als Signum der Generation X gelten kann. Die Unbestimmtheit ihrer Zukunft – X ist nicht bloß das Pronomen einer genormten T- Shirt-Größe, sondern auch die mathematische Variable – wird trefflich ausgedrückt in der verstellbaren Kopfgröße. Man trägt sie verkehrt herum, die Einheitspaßform auf der Stirn.

Schutzfunktion hin, religiöse Herkunft her, auch für die Mütze gilt: Kultur erzählt man sich am liebsten als Verfallsgeschichte. So heißt es in einem Katalog, der „die guten Dinge“ verhökert, vom englischen Bowler-Hut: „Er wird von gewesener britannischer Größe noch Zeugnis legen, wenn der apokalyptische Kanaltunnel längst Millionen von Baskenmützen und tollwütigen Festlandskarnickeln den Weg auf die Insel eröffnet haben wird.“ Harry Nutt