Auf Zehenspitzen zum Vatermord

Frauen des Olymp: Angela Ziesche hat in ihrem Buch „Das Schwere und das Leichte“ versucht, die wichtigsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts zu dokumentieren. Gibt es eine kontinuierliche Geschichte der feministischen Kunst?  ■ Von Petra Welzel

Zum Jahreswechsel 1993/94 hatte es Rebecca Horn, Deutschlands bekannteste Künstlerin, geschafft. Das renommierte Guggenheim Museum in New York hatte sie mit einer One-Woman-Show in den Kunstolymp aufgenommen. Seitdem tourt Horn mit ihrer Retrospektive und erregt mit der immer wieder neuen Inszenierung ihrer Werke an unterschiedlichen Orten Aufsehen. Der Kulturkanal arte widmete Horn und ihren Spektakeln im Oktober einen ganzen Themenabend. Die Künstlerin weiß sich zu vermarkten. Scharf gezeichnet lockt ihr von schwarzen Federn eingerahmtes Profil vom Cover des Ausstellungs- und ×uvres-Katalogs. Ähnlichkeiten mit dem US-Star Barbra Streisand sind rein zufällig.

Etwas bescheidener warb da die in Amerika lebende französische Bildhauerin Louise Bourgeois für ihre erste Retrospektive in Europa, die bis vor wenigen Wochen in Paris zu sehen war und demnächst nach Hamburg kommen wird. Vor einer Tür stehend, hält sie sich ein Warnschild vors Gesicht: „No Trespassing“ – „Zutritt verboten“. Widersinn und Eigensinn kennzeichnen das Werk Bourgeois' seit ihren malerischen Anfängen in den dreißiger Jahren, und nicht zuletzt erinnert das 1994 von ihr aufgenommene Foto an ihre surrealistischen „Frauen- Häuser“ aus den vierziger Jahren, mit denen sie erstmals im Kreise damals bereits bekannter Künstler wie Ozenfant, Marcel Duchamp, André Breton und Yves Tanguy die öffentliche Bühne betrat. Wie in den Zeichnungen fragmentiert sie ihren Körper, verleugnet ihr Angesicht und damit ihre Identität, so wie sie die Frauenkörper in Häuser zwängte in Anspielung auf das Eingeschlossensein und den Identitätsverlust im Alltag von Frauen.

Angela Ziesche bezeichnet Louise Bourgeois in ihrem gerade erschienenen Buch „Das Schwere und das Leichte. Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts“ als die Mutter beziehungsweise die Großmutter der an Raumkonzeptionen arbeitenden Künstlerinnen wie Rebecca Horn. Mit einer genealogischen weiblichen Reihung unter formalen Gesichtspunkten versucht Ziesche die Geschichte der modernen Skulptur neu zu schreiben. Doch wie schon anderen KunsthistorikerInnen und -kritikerInnen ist es auch ihr nicht gelungen, die spezifische Geschichte der Bildhauerinnen des 20. Jahrhunderts überzeugend darzustellen. Abgesehen von Sachverhalten, die einfach falsch sind, wie etwa die Behauptung, daß erst die Bildhauerinnen der zwanziger Jahre erstmals von ihren Werken hätten leben können – allein ein Blick zurück ins 19. Jahrhundert hätte die Autorin unter anderem auf die Amerikanerin Harriet Hosmer stoßen lassen müssen, die sehr erfolgreich ihren Lebensunterhalt mit ihren Skulpturen bestritt –, verliert sich Ziesche auf der Suche nach einer weiblichen Ästhetik. So resümiert sie, die „Surrealistenfee“ Meret Oppenheim mit ihren kuscheligen Pelzobjekten sei das Vorbild der Frauenbewegung, ihr Vermächtnis das Unausweichliche und höchst Bedrohliche eines weiblich-sinnlichen Formenvokabulars gewesen.

Die sensibel und plastisch vorgestellten Arbeiten der 54 von Ziesche ausgewählten Künstlerinnen haben diese konstruierten Zusammenhänge dabei überhaupt nicht nötig. Auf der Liste finden sich durchaus widersprechende Positionen: etwa Niki de Saint-Phalles mit ihren Nana-Plastiken und Jenny Holzers Schriftarbeiten oder Rosemarie Trockel und die Bildhauerin Isa Genzken. Die sich wiederholenden Verweise auf das nicht präzisierte „Weibliche“ wirken meist aufgesetzt und wenig einleuchtend. Gerade die Pariser Bourgeois-Retrospektive und die Dokumentation ihres ×uvres zeigten noch einmal deutlich, daß sich Bourgeois' Arbeiten weder dazu eignen, eine weibliche Formensprache an ihnen zu manifestieren noch sie in einen generationenübergreifenden und verbindenden Bogen über die Bildhauerinnen dieses Jahrhunderts zu spannen.

Bourgeois' stelenartige, hochgewachsene Holzskulpturen aus den frühen fünfziger Jahren erinnern in ihrer Fragilität ebenso an Giacomettis ausgehungerte Menschenfiguren, wie ihre ersten Marmor- und Alabasterskulpturen der sechziger Jahre in der Bearbeitung des Gesteins mit Werken Auguste Rodins beziehungsweise Camille Claudels korrespondieren. 1974 präsentierte Bourgeois die sie weltweit bekannt machende „Vernichtung des Vaters“. Wie in einer dunklen Krypta lagen einzelne Hähnchenschenkel auf einem Altartisch, aus dem und um den herum erigierte Glieder und Brüste sprossen und hervorquollen. Schwarzer Samt und rotes Licht erzeugten eine anziehende und gleichzeitig bedrohliche Stimmung. Es war klar, was hier passierte: Der Vater wurde zerstückelt und blutig zum okkulten Mahl angerichtet. Ähnlich bildhaft und dekorativ hat seitdem nur der Filmemacher Peter Greenaway seinen Liebhaber in „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ kredenzt: Dem Mörder wird der Leichnam als Delikatesse serviert, der Schwanz als Sahnehäubchen ins Maul gestopft.

Für eine Abrechnung mit dem eigenen Vater, der seine Mätresse ins elterliche Haus holte, als Bourgeois noch ein Kind war, und bei der sie sechs Jahre Sprachunterricht nehmen mußte, erfolgte dies ziemlich spät. Immerhin war die Künstlerin bereits 63 Jahre alt, als sie sich zu ihrem bekanntesten Werk durchrang. Doch noch bis heute ist ihr Kindheitstrauma der Quell ihres Schaffens. Die eigene Mutter spielt immer wieder eine wichtige Rolle in ihrem Wirken, auch wenn das in ihrer neuesten Arbeit, einer monströsen Spinnen- Armada, kaum jemand außer ihr selbst wahrnimmt. Die Spinne ist die Weberin ist die Mutter, die Erinnerung an ihr Elternhaus und deren Teppichweberei. Mag sein, daß ihre Erfahrungen typisch weiblich sind, auf der Hand liegen sie in vielen Arbeiten offensichtlich jedenfalls nicht.

Den außerordentlichen Erfolg von Künstlerinnen wie Bourgeois und Horn allein auf einer weiblichen Linie zu verbuchen birgt die Gefahr, weiterhin Geschlechtsunterschiede zu konstruieren, wo es keine gibt, und unterschätzt zumindest Tatsachen der Kunstvermarktung: Beide Künstlerinnen arbeiteten zur rechten Zeit am rechten Ort. Im selben Jahr, als Bourgeois ihren Durchbruch hatte, schaffte Horn das gleiche mit ihrer Ausstellung in einer New Yorker Galerie. Und die Amerikanerin Hosmer war Mitte des 19. Jahrhunderts noch nach Italien übergesiedelt. Große bildhauerische Werke wurden damals eben aus dem Land der klassischen Antike in die USA importiert.

Angela Ziesche, „Das Schwere und das Leichte. Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Skulpturen, Objekte und Installationen“. Dumont, Köln 1995, 98 DM