Die Angst der Diktatur

■ China weist den deutschen Journalisten Henrik Bork wegen "einseitiger" und "negativer" Berichterstattung aus

Die Ausweisung des deutschen Korrespondenten Henrik Bork aus China „ist eine schallende Ohrfeige für diejenigen, die glauben, durch Staats- und Militärbesuche Veränderungen des diktatorischen Regimes zu bewirken“, sagte der stellvertretende Chefredakteur des Berliner Tagesspiegels, Walter Stützle, gestern. Nachdem bekannt wurde, daß die chinesischen Behörden Bork zur unerwünschten Person erklärt und es abgelehnt haben, sein jährlich zu verlängerndes Visum zu erneuern – was de facto einer Ausweisung gleichkommt –, hagelte es allerorten Proteste, bei den Parteien ebenso wie in den deutschen Medien.

Bork berichtet seit vier Jahren für die Frankfurter Rundschau und mehrere andere Publikationen in der Bundesrepublik, Österreich und der Schweiz aus China.

Wie andere ausländische Journalisten war der 34jährige Sinologe – der auch schon als Praktikant in der taz gearbeitet hat – in der Vergangenheit mehrfach von den chinesischen Behörden gewarnt worden, weil seine Berichte auf Unwillen der Regierung gestoßen waren. Über die Absicht Pekings, ihn auszuweisen, erfuhr er vor wenigen Wochen jedoch indirekt: chinesische Diplomaten wandten sich an seine Zeitungen und erklärten, das bis zum 27. Dezember geltende Visum werde nicht verlängert. Seine Berichterstattung sei „einseitig“ und „negativ“.

In der Hoffnung, diese Entscheidung Pekings durch „stille Diplomatie“ rückgängig zu machen, setzte sich besonders Außenminister Klaus Kinkel für ihn ein. In einem Brief an seinen chinesischen Kollegen Qian Qichen am 2. Dezember warnte er, daß eine Ausweisung des deutschen Journalisten einen „öffentlichen Aufschrei“ auslösen und die öffentliche Unterstützung „für die klare und vorwärtsgewandte China-Politik“ der Bundesregierung in Frage stellen könne. Alles vergeblich. Am vergangenen Montag ließ der chinesische Botschafter in Bonn schließlich wissen, daß der Schritt unumstößlich sei.

In Peking sagte ein Sprecher des Außenministers gestern, daß die chinesische Regierung mitnichten verpflichtet sei, eine Begründung für die Nichtverlängerung des Visums zu geben. Im übrigen habe dies keinerlei Auswirkungen auf das deutsch-chinesische Verhältnis, da es sich um eine „interne Angelegenheit“ Chinas handele. Kein anderes Land habe das Recht, sich einzumischen.

Über die Gründe für diese spektakuläre Maßnahme gegen Bork gibt es nur Vermutungen. Bork selbst glaubt, daß dies eine – sehr verspätete – Reaktion der Pekinger Führung auf seine kritische Berichterstattung anläßlich des Li- Peng-Besuchs in Deutschland im Frühjahr 1994 ist. Damals hatte er unter anderem geschrieben: „Chinas Premier mag keine Fragen nach dem Blut, das an seinen Händen klebt. Da ist er wie alle Diktatoren.“

Journalistenkollegen vermuten, daß Li Peng nach dem protestreichen Deutschland-Besuch seine Diplomaten im Außenministerium beschuldigt hat, ihn nicht richtig auf die Stimmung in Deutschland vorbereitet zu haben. Diese hätten die deutsche Presse und deren China-Berichterstattung verantwortlich gemacht, besonders die Artikel Borks.

Dies ist die erste Ausweisung eines deutschen Korrespondenten aus China seit dem Rauswurf des Spiegel-Kollegen Tizio Terzani 1984. Auch britische und US-amerikanische Journalisten wurden des Landes verwiesen oder erhielten gar nicht erst die Arbeitserlaubnis.

Mehr zu befürchten haben chinesische und Hongkonger Journalisten: sie werden nicht ausgewiesen, sondern verschwinden in Gefängnissen und Lagern, wie der Hongkonger Xi Yang und seine Festland-Kollegin Gao Yu.

Korrespondenten unterliegen in China immer noch strikten Beschränkungen: Wer die Hauptstadt verlassen und aus den Provinzen berichten will, muß sich jede Reise von den Behörden genehmigen lassen. Andernfalls muß man mit Verwarnungen oder, schlimmstenfalls, der Ausweisung rechnen. Vor allem aber müssen ausländische Journalisten immer fürchten, ihren chinesischen Gesprächspartnern zu schaden, wenn bekannt wird, daß diese sich kritisch geäußert haben. Das hat sich in den vergangenen Jahren nicht geändert. Jutta Lietsch