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EU verlangt mehr Ökotests

Bundesregierung wollte die Ausweitung der Umweltverträglichkeitsprüfung verhindern. Merkels Angst vor der Kritik der Industrie  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Die europäische Umweltverträglichkeitsprüfung ist künftig auch für Schweinemastbetriebe und Hühnerfarmen, für Papierfabriken, Grundwasserbrunnen und Müllverbrennungsanlagen Pflicht. Gegen den Widerstand der Bundesumweltministerin Angela Merkel beschlossen die 15 Umweltminister der Europäischen Union eine deutliche Ausweitung der Umweltprüfung (UVP). Die Bundesregierung hatte sich bis zuletzt dagegen gesträubt, weil ihrer Ansicht nach Genehmigungsverfahren zu lange dauern und dadurch Investitionen behindern.

Die UVP schreibt vor, daß bei der Genehmigung von Industrieanlagen, öffentlichen Bauprojekten und landwirtschaftlichen Mastbetrieben die Auswirkungen auf Luft, Wasser und Boden sowie die langfristigen Folgen für das Klima und die Landschaft geprüft werden müssen. Die Änderung war notwendig geworden, weil diese Richtlinie in den einzelnen Mitgliedsländern sehr unterschiedlich ausgelegt wurde. Die griechische Regierung hat die UVP bereits bei Mastbetrieben ab 5 Schweinen angewandt, in Holland lag die Schwelle bei 1.000 Schweinen, und Agrarfabriken in Deutschland durften bis zu 4.999 Schweine halten, ohne daß die Umweltverträglichkeit geprüft wurde.

Bisher war die UVP vor allem beim Bau von Autobahnen, Kernkraftwerken, Braunkohleabbau und industriellen Großanlagen zwingend vorgeschrieben. Für eine Reihe weiterer Projekte blieb es den Mitgliedsländern überlassen, die Kriterien aufzustellen, wann eine UVP gemacht werden muß. In der Neufassung wurde die Liste der Projekte, bei denen die Umweltverträglichkeit in jedem Fall geprüft werden muß, in etwa verdoppelt. Das Europäische Parlament muß die Änderung noch bestätigen – was zu erwarten ist.

Umweltministerin Merkel verteidigte sich damit, daß eine Ausweitung zwangsläufig auch zu einer Lockerung der Sorgfalt führe. „Qualität muß vor Quantität stehen“, so Merkel, die darauf verweist, daß in einigen anderen Ländern die UVP schon heute zu einer reinen Routinekontrolle verkommen sei. Gemeint ist vor allem Frankreich, wo jährlich rund 6.000 Projekte den UVP-Stempel bekommen. Bei dieser Masse sei eine tiefergehende Untersuchung kaum noch möglich. In der Bundesrepublik werden pro Jahr 200 bis 300 Umweltverträglichkeitsprüfungen gemacht. Beamte der EU-Kommission bestätigen, daß die Bundesregierung im Vergleich mit anderen EU-Ländern ausführlichere Gutachten vorschreibt, die bis zu einem Jahr dauern. Um die Auswirkungen auf die Landschaft zu erforschen, wird oft eine ganze Vegetationsperiode abgewartet.

In Deutschland steht die Regierung deshalb unter erheblichem Druck aus der Industrie, die Vorschriften zu vereinfachen. Durch die Ausweitung der Richtlinie auf mehr Projekte, so wird im Umweltministerium befürchtet, werde dieser Druck noch zunehmen. Zudem widersprächen neue Vorschriften dem Bonner Ziel, Regelungen abzuschaffen und die Genehmigungsfristen zu verkürzen.

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