Deutsche Gründlichkeit

■ Bonn sträubt sich gegen mehr Umweltprüfungen

In der europäischen Umweltpolitik scheint die Welt noch recht einfach zu sein. Bundesrepublik Deutschland: gut – Eurokraten: böse. Hier das Musterland des Umweltschutzes, dort die Union der fünfzehn, die sich allenfalls auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen kann und gegen die wir unsere hohen Öko-Standards verteidigen müssen.

Dieses naive Bild hat noch nie etwas mit der Realität zu tun gehabt. Das zeigt sich jetzt erneut: Die deutsche Delegation in Brüssel sträubte sich mit Händen und Füßen gegen eine Ausweitung der Richtlinie über Umweltverträglichkeitsprüfungen. Hierzulande werden Umweltstudien bei Investitionsvorhaben, die einen Eingriff in Natur und Landschaft bedeuten, mit deutscher Gründlichkeit durchgeführt. Wenn sie denn überhaupt vorgenommen werden. Weil solche gründlichen Prüfungen Zeit brauchen und damit Investitionen verzögern, gehen die Behörden sparsam damit um. Jetzt hat die EU die Zahl der Projekte, für die eine Prüfung der Umweltverträglichkeit zwingend vorgeschrieben ist, verdoppelt.

Der Widerstand von Umweltministerin Angela Merkel gegen die Verschärfung der Vorschriften ist keineswegs verwunderlich. Er paßt in ein schon seit langem gern benutztes Denkschema: Umweltverträglichkeitsprüfungen nützen den Bürgern, weil die Öffentlichkeit einbezogen werden muß, sie hemmen hingegen tendenziell Investoren. Im industriefreundlichen Deutschland mit seiner preußischen Geheimratstradition kommt es daher zu heftigen Abwehrreaktionen.

Das war schon so, als diese Richtlinie erarbeitet worden ist. Ohne Zwang aus Brüssel hätten wir hier in Deutschland vermutlich immer noch keine Umweltverträglichkeitsprüfungen. Noch mehr Probleme gar hatte der obrigkeitsfixierte Bonner Staat mit dem freien Zugang zu Umweltinformationen. Die entsprechende EU-Richtlinie wurde erst viel zu spät umgesetzt und in einer Weise, die das Recht auf Information wegen der hanebüchen hohen Verwaltungsgebühren in der Realität ad absurdum führt.

Merke also: Umweltschutz ist gut, aber nur, wenn findige deutsche Ingenieure geniale Filteranlagen bauen und verkaufen können. Umweltschutz ist ganz schlecht, wenn sich dabei nichts verdienen läßt oder wenn sich Bürger einmischen und Industrie wie Behörden auf die Finger klopfen wollen. Das ist die Grundkonstante deutscher Umweltpolitik, und die wird gegen die EU verteidigt. Nicola Liebert