Sanssouci: Nachschlag
■ Zhu Jinshis Installationen in der Ruine der Künste
Er hat eine Vorliebe für minimale Gesten: Als der 41jährige chinesische Künstler Zhu Jinshi im April am Houhai-See in Peking die Aktion „Knoten“ startete, benötigte er nicht mehr als ein langes Seil. Das Happening begann dort, wo der künstlich angelegte, tropfenförmige See am Rande der Verbotenen Stadt kaum fünf Meter breit ist. Zhu Jinshi und ein Helfer legten das Seil ins Wasser und begannen, den See langsam zu umwandern, Zhu auf der einen Seite des Ufers, sein Freund auf der anderen.
Die zwei kämmten das Wasser, wie man „das Haar seiner Geliebten kämmt“ (Zhu). Auf einmal erlangten die scheinbar nebensächlichsten Details Bedeutung: die Bewegung des Seils, die sich kräuselnde Wasseroberfläche. Bald wurde das Seil zu kurz, und Zhu mußte ein neues Teilstück anknoten. Je weiter die beiden vorangingen, desto länger wurde das Seil – und um so beschwerlicher ging es vorwärts. Schließlich mußten sie sich an der Uferbalustrade festbinden lassen, um nicht von der Zugkraft des nassen Seils ins Wasser gezogen zu werden. Nach einer Stunde waren sie am anderen Ufer des Sees angekommen. Dann wickelte Zhu das Seil zu einem großen Knäuel. Außer einem Videofilm ist dies das einzige Überbleibsel dieser für chinesische Verhältnisse gewagten, weil unkonventionellen Kunstaktion.
Für seine aktuelle Ausstellung in der Dahlemer Ruine der Künste hat Zhu, der seit neuen Jahren in Berlin lebt, zu gewichtigeren Materialien gegriffen. Im ersten Raum der Ruine verkeilt er vier dünne Stahlplatten zwischen Parkettfußboden und Wand. Auf jeder dieser schräg emporragenden Stahlplatten ist jeweils ein fußballgroßer Granitbrocken montiert. In dem zweiten, größeren Raum stößt man wieder auf Stahlplatten, diesmal als Mauer aufgerichtet und durch mehrere dicke Baumstämme in einem beunruhigend wirkenden, labilen Gleichgewicht gehalten.
In Zhus Arbeiten geht es immer um die Polarität zwischen Natur und menschlichem Artefakt. Doch anders als beim Happening am Houhai-See ist in der Ruine der Künste an die Stelle der Poesie offenkundig Bedeutungsschweres getreten. Was einen an der Berliner Installation fesselt und berührt, ist das Staunen: Trägt der Stahl seine Last? Und wenn ja, wie lange noch? Es ist die Ungewißheit über den Ausgang des Experiments, die fasziniert. Nicht so sehr die Schönheit. Ulrich Clewing
Bis 30.12., täglich 14–18 Uhr (auch an Feiertagen), Ruine der Künste, Hittorfstraße 5, Dahlem
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