Der Bär von Lemmer

Die Eisschnelläufer Rintje Ritsma und Bart Veldkamp suchen in dieser Saison auf eigene Faust den Erfolg  ■ Von Egon Boesten

Berlin (taz) – Irgendwann im September war „die Kugel durch die Kirche gerollt“, wie ein niederländisches Sprichwort sagt. Rintje Ritsma, 25jähriger Europa- und Weltmeister der Eisschnelläufer, geht seine eigenen Wege. Das Pokern mit dem niederländischen Eisschnellaufverband (KNSB) hatte zwar die Preise noch einmal ordentlich hochgetrieben. Doch als der „Bär von Lemmer“ den gesamten Prämienpott des KNSB (ca. 250.000 Mark) für sich haben wollte, winkten die Verbandsoberen einschließlich des Hauptsponsors Aegon-Versicherung ab.

Auf die Eisschnellaufsaison bereitete sich Ritsma, der im Olympiajahr 1994 die Überlegenheit des dreifachen Goldgewinners von Lillehammer, Johann Olav Koss (Norwegen), anerkennen mußte, nach eigenem Rezept vor. Der Trainer ist mit Wobke de Vegt aber ein alter Bekannter, der Ritsma schon im vergangenen Jahr coachte. Chef der Ritsma-Organisation ist Egbert van't Oever, seit Jahrzehnten guter Geist der niederländischen Eisschnelläufer, der 1988 Yvonne van Gennip auf dem Weg zu drei Goldmedaillen in Calgary begleitete.

„Ich glaube, daß ich mich allein besser auf Nagano vorbereiten kann als mit dem Verband“, begründete Ritsma seinen Alleingang und fügte hinzu: „Wenn man verpflichtet ist, im Dress des Verbandes zu laufen, dann ist es doch normal, das vernünftig bezahlt zu bekommen.“ Seine gute Form unterstrich der Niederländer am vergangenen Wochenende, als er auf der Bahn von Inzell souverän die 500 und die 1.500 Meter gewann.

Bis zu den Olympischen Spielen 1998 ist es noch ein langer Weg, aber eins steht zumindest jetzt schon fest: Ritsma ist mit einem geschätzten Jahresverdienst von 400.000 Mark der bestbezahlte niederländische Eisschnelläufer aller Zeiten. Ard Schenk (dreimal Gold 1972) hätte in seiner Zeit viel Geld verdienen können, wenn er gewollt hätte. Piet Kleine, Weltmeister 1976 und inzwischen Eisschnellauf-Marathon-Legende, kam auf einige 10.000 Gulden, während Hilbert van Duim, der Weltmeister der Jahre 1980 und 1982, in seinem besten Jahr auf 55.000 Mark kam. Einen privaten Sponsorenvertrag mit Labello verbot damals der mächtige niederländische Eisschnellaufverband.

Wenn Ritsma, nach dem die Stadtväter des Ijsselmeerstädtchens Lemmer einen eigenen Spaziergang benannt haben („Auf den Spuren von Rintje“), in dieser Saison die ersten Schritte zur olympischen Goldmedaille im japanischen Nagano unternimmt, kommt die Konkurrenz nicht nur aus dem eigenen Land. Zwar wird er sich auf seinen Strecken (1.500, 5.000 und 10.000 Meter) vor allen Dingen auch mit seinem friesischen Landsmann Falko Zandstra auseinandersetzen müssen, der für ein Jahressalär von ca. 36.000 Mark weiter unter Verbandsfittichen startet. Doch unverhofft ist ihm Konkurrenz aus Belgien erwachsen, einem Land, das bisher nicht gerade für seine Eisschnelläufer berühmt war und nicht einmal über eine 400m-Bahn, geschweige den eine Eisflitz-Tradition verfügt.

Das Geheimnis des plötzlichen Höhenfluges: Bart Veldkamp, niederländischer Olympiasieger von Albertville 1992, startet neuerdings für die Belgier. Auch „Bartje“, wie der eigenwillige Langstreckenspezialist aus Den Haag genannt wird, hatte die Querelen mit dem niederländischen Verband satt und befand, daß er sich allein besser auf die großen Wettbewerbe vorbereiten könne. Er trainiert in seiner Heimatstadt auf der halbüberdachten Bahn De Uithoff, und jeder seiner ersten Auftritte in dieser Saison bedeutete belgischen Landesrekord. Einen Coach hat der 28jährige nicht: „Ich mache mir selbst meine Trainingspläne und weiß, wie ich laufen muß.“

Zu den größten Widersachern des niederländisch-belgischen Trios scheinen neben den Norwegern die Japaner zu werden. Hiroyuki Noake (21) und Keiji Shirata (22) beeindruckten schon bei den Weltmeisterschaften 1994 und sind durch die Olympischen Winterspiele im eigenen Land 1998 besonders motiviert.