piwik no script img

Kauern wir eine Weile

■ "Ein Winternachtstraum": In Kenneth Branaghs neuem Film wird die zweitklassige Schauspiel- und Comedyszene gefeiert, ganz wie es uns gefällt

Das Theater steht derzeit hoch im Kurs. Zumindest bei Filmregisseuren. Als gäbe es sonst nicht so viel zu erzählen, greifen sie plötzlich vermehrt nicht nur auf Dramen zurück, sondern auch auf all die Dramen um die Dramen. „Vanya on 42nd Street“ von Louis Malle, Woody Allens „Bullets over Broadway“ oder Peter Chelsoms „Funny Bones“ beschwören elegisch, skurril oder mit lustiger Besessenheit das Leben vor und hinter den Kulissen. Das ist schön, wenngleich – das Theater als Fall für den Naturfilm, Bereich „Bedrohte Arten“?

Der britische Filmemacher Kenneth Branagh geht sogar noch einen Schritt weiter und versucht, das wahre Theater gleich ganz ins Kinoreservat zu überführen. Dazu lockt er mit Shakespeare und geballter Schauspielerschaft, und von beidem versteht Branagh eine Menge. Vor zehn Jahren war er Mitglied der Royal Shakespeare Company, er spielte Henry V., spielte in „Hamlet“, inszenierte „Romeo und Julia“ und gründete später ein eigenes Ensemble, das ebenfalls Shakespeare, Shakespeare und Shakespeare zeigte.

Als Branagh 1988 zum Film wechselte, griff er, wen wundert's, zu William S. Nach „Henry V.“ hat er mittlerweile auch „Viel Lärm um nichts“ inszeniert – sinnlich, burlesk, romantisch. Vielleicht, um Vielseitigkeit anzudeuten, drehte Branagh auch andere Filme, zuletzt „Mary Shelley's Frankenstein“. Aber als nächstes wird er den Jago in Oliver Parkers „Othello“ spielen, und um sich die Zeit bis dahin zu verkürzen, drehte er rasch noch „Ein Winternachtstraum“, ein Weihnachtsfilmchen über eine Shakespeare-Theaterproduktion, sein sechster Film und der erste, in dem er nicht selber spielt. Joe, ein verzweifelter, arbeitsloser Schauspieler, findet per Annonce andere verzweifelte, arbeitslose Schauspieler und will mit ihnen zur Weihnachtszeit in einer ländlichen Kirche „Hamlet“ inszenieren. Künstlerisch scheint das zunächst ein ganz und gar aussichtsloses Unterfangen zu sein, aber natürlich geht es weniger um Kunst als um Psychodynamik. Im Laufe der Proben kommen sich die Darsteller zwangsläufig nah und näher, und manches private Dilemma tritt bei der Arbeit unverschämt zutage.

Doch die Premiere droht, und so hilft man sich, tröstet sich und ist auch sonst ganz reizend solidarisch. So ist aus einem arroganten Haufen neurotischer Schauspieler am Ende ein netter Haufen neurotischer Schauspieler geworden. Das ist eigentlich alles. Aber dabei wird die zweitklassige Schauspiel- und Comedy-Szene in vielen kleinen und kitschrealistischen Szenen zu Recht schonungslos gefeiert. Flott komödiantisch jagt der Film von der Stadt aufs Land und stürzt sich kopfüber in die Produktionsnöte. Muß wirklich der ganze Text gelesen werden? Wie lassen sich Nebenrollen aufpumpen? Wer klebt die Plakate und vor allem: Was – um Shakespeare's willen – machen wir hier eigentlich und für wen? Dazwischen erklären alle auf Schritt und Tritt ihr Innerstes, geben Profitips („Wenn ich meinen Text vergesse, sage ich immer: ,Kauern wir hier eine Weile und lauern.‘“) und kämpfen um Besonderheiten wie eine Nase im Format von Cyrano de Bergerac oder einen abgefeimten „Fuchsdialekt“.

Michael Maloney spielt einen nervös-sensiblen Regisseur und Hamletdarsteller, der abends immer aus einer Telefonzelle seine Filmagentin (Joan Collins! Auf dem Trimm-Laufband!!) anruft, um vergeblich etwas mehr Geld für dieses Selbsterfahrungsexperiment zu erbetteln. Und Celie Imrie haucht eine geradezu authentische Bühnenbildnerin hin, die Mildred heißt, sich aber Fadge nennen läßt. Fadge konsultiert ihre Brustwarzen als Orakel und ihr Bühnenbildmodell ist das genaue Abbild des Kircheninneren. „Menschen im Raum – im Rauch“ schweben ihr vor, und ahnungsvoll bastelt sie eine Reihe Pappkameraden, die die leeren Plätze im Publikum auffüllen sollen.

Branagh hat seinen Theaterfilm historisierend schwarzweiß gedreht, und er versucht auch weitgehend, eine Theaterperspektive einzunehmen. Kameraeinstellungen werden manchmal eine ganze Szene lang beibehalten, Schauspieler laufen ins Bild und wieder hinaus.

Doch am Ende, als der Winternachtstraum wahr wird und sich das Grüppchen aus verschiedenen Gründen zum furiosesten „Hamlet“ aller Zeiten aufschwingt, gibt sich der Ex-Theatermann als Abtrünniger zu erkennen.

Denn da schwenkt die Kamera ins Publikum und hinter die Bühne und nimmt bloß Fetzen der Aufführung mit. Das Wunder des wahren Theaters – hier ist es ein filmischer Kniff. Petra Kohse

„Ein Winternachtstraum“. Buch und Regie: Kenneth Branagh. Mit: Joan Collins, Celie Imrie, Michael Maloney, Jennifer Saunders, Julia Sawalha u.a. GB 1995, 97 Min.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen