Weiter Tauziehen um Tschernobyl

■ G 7 und Ukraine mit „Memorandum“ über Abschaltung

Berlin (taz/dpa/AFP) – Der jahrelange Poker um die Zukunft der Reaktorinvaliden von Tschernobyl geht in die nächste Runde. In der vergangenen Nacht unterzeichneten in Ottawa der ukrainische Umweltminister Juri Kostenko und Kanadas stellvertretende Premierministerin Sheila Copps ein „Memorandum of Understanding“, das die endgültige Stillegung der Atomzentrale bis zum Jahr 2000 in Aussicht stellt. Copps vertritt bei den Verhandlungen die G-7-Staaten und die EU-Kommission. Zu den G 7 gehören die USA, Kanada, Japan, Frankreich Großbritannien, Deutschland und Italien.

Beide Seiten erklärten jedoch schon vorab, daß das Memorandum „juristisch nicht bindend“ sei. Außerdem ist die Aufteilung der Kosten für die Stillegung und die weitere Sicherung des 1986 explodierten Reaktorblock 4 offenbar immer noch nicht abschließend geklärt. Der „Sarkophag“ des im April 1986 zerstörten Reaktors fällt auseinander. Ein weiterer schwerer Atomunfall droht. Aus Kiew wurden bereits im Vorfeld der Unterzeichnung weitere Zweifel an der Verbindlichkeit des Papiers angemeldet: Über den Stillegungstermin im Jahr 2000 gebe es keinen Konsens.

Nach westlichen Angaben wollen die G-7-Staaten und die EU insgesamt 3,5 Milliarden Mark bereitstellen, den Löwenanteil (gut 2,7 Milliarden Mark) als Darlehen, lediglich 750 Millionen Mark in Form direkter Finanzhilfen. Mit dem Geld sollen die Folgekosten der Stillegung, die Fertigstellung zweier weiterer Atomkraftwerke und die Nachrüstung maroder Kohlekraftwerke in der Ukraine finanziert werden. Unklar bleibt die Finanzierung eines zweiten „Sarkophags“, der die 1986 errichtete brüchige Betonhülle um den Katastrophenreaktor ersetzen soll. Umweltminister Kostenko erklärte in Kanada, ohne eine Einigung über diese Frage werde es auch keine Schließung der Atomzentrale insgesamt geben.

Gegenwärtig sind die Blöcke 1 und 3 mit einer maximalen Leistung von je 1.000 Megawatt in Betrieb. Block 2 steht nach einem verheerenden Großfeuer seit 1991 still und soll im kommenden Jahr wieder angefahren werden. Vor wenigen Wochen hatte der Generaldirektor der Atomzentrale, Sergej Paraschin, gesagt, Tschernobyl sei mittlerweile „der beste und sicherste Reaktor in der ehemaligen Sowjetunion“. Die Anlage solle noch 15 Jahre Strom liefern.

Die Siemens-Dependance Kraftwerksunion (KWU) hofft bei der Modernisierung der Kohlekraftwerke an vorderster Front dabeizusein. Die im Frühjahr von Asea Brown Broveri (ABB) ins Spiel gebrachte Alternative, die derzeit 2.000 Megawatt nuklearer Kraftwerksleistung am Standort Tschernobyl durch Erdgaskraftwerke zu ersetzen, sei inzwischen „zu den Akten gelegt“, sagte KWU-Sprecher Wolfgang Breyer der taz. Siemens versuche derzeit, „im Westen ein Konsortium zusammenzuschmieden“, das die Modernisierung maroder Kohlekraftwerke mit einer Leistung von 6.000 Megawatt umsetzen soll. Dadurch könnte die derzeitige Kapazität der Tschernobyl-Reaktoren ersetzt werden. gero