EU elektrisiert Strombranche

Monopole sollen fallen und kleinen Anbietern droht das Aus durch Dumping-Preise  ■ Von Ralf Köpke

Der Tagesordnungspunkt Nr. 1 hieß gestern wieder einmal „Liberalisierung des EU-Energiebinnenmarktes“ auf der Sitzung der Energieminister in Brüssel. Schon vor etwa drei Jahren verkündete der zuständige Kommissar und frühere FDP-Wirtschaftsminister Martin Bangemann lauthals, daß Brüssel die Gebietsmonopole Energieversorger aufbrechen wolle. Nur so könne mehr Wettbewerb bei den leitungsgebundenen Energien entstehen.

Dieser erste Vorschlag, Großabnehmern das uneingeschränkte Durchleitungsrecht durch fremde Strom- und Gasnetze einzuräumen, wurde auch „Third Party Access“ (TPA) genannt. Damit erlitt die EU-Kommission im Laufe des Jahres 1993 im Ministerrat Schiffbruch: Die Angst vor dem „billigen Franzosenstrom“ hatte hierzulande Parteien und die Stromlobby gegen diese Richtlinie elektrisiert. Mit seiner gewaltigen Überkapazität an AKWs exportiert der staatliche Strommonopolist Electricité de France (EdF) schon heute jährlich über 60 Milliarden Kilowattstunden Strom in die Nachbarländer. Weil die teuren Kraftwerke nun einmal rumstehen, kostet der laufende Betrieb relativ wenig, Billigpreise sind da kein Problem.

Zum Jahreswechsel 1993/94 präsentierte die EU-Kommission deshalb das abgespeckte „Modell des verhandelten Netzzugangs“ (Negotiated Third Party Access, kurz NTPA). Dieser Kompromiß erlaubt jedem beliebigen Energieerzeuger, seinen Strom grenzüberschreitend zu verkaufen, wobei das Unternehmen an die angrenzenden Versorger Gebühren zu zahlen hat. „Der Entwurf enthält jede Menge schwammiger Formulierungen, um die Durchleitungspflicht auszuhebeln“, kritisiert Professor Uwe Leprich von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Saarbrücken. Auch gegen überhöhte Preise für die Nutzung der Strommasten gibt es keinen wirksamen Schutz. Ohne eine Offenlegung der Transport- und Verteilkosten erwartet der Energiefachmann Leprich deshalb „nicht einen Hauch mehr an Wettbewerb“. Noch schlimmer wäre es beim „Single-buyer“ oder Alleinkäufer-Modell, das die EdF und damit Frankreich vorgeschlagen hat: Dabei soll es in jedem Land einen einzigen Händler geben, der Elektrizität an- und verkaufen kann. „Wenn zum Beispiel Peugeot in Mülhausen billig Strom beim Badenwerk bekommen kann, läuft das gesamte Geschäft über die EdF“, erklärt EU-Energierechtsexperte Leprich das System. Der Automobilkonzern würde eine Gutschrift über die Preisdifferenz erhalten, die sich aus den EdF-Preisen und dem Badenwerk-Angebot ergibt. Mit dem Single-Buyer-Konzept könnte ein Unternehmen wie die EdF die Stromimporte kontrollieren und den Wettbewerb leicht mit Dumpingangeboten unterlaufen.

Spanien bietet einen faulen Kompromiß an

Seit Sommer 95 hat Spanien die EU-Ratspräsidentschaft inne. Es bot einen neuen Vorschlag an: Das NPTA- und das Alleinkäufer-Modell sollen kombiniert werden und nebeneinander gelten. Bundeswirtschaftsminister Rexrodt zeigte zwar Sympathien für den spanischen Vorschlag, doch auf Druck von Union, SPD und der deutschen Stromlobby wird er der Energierichtlinie nicht zustimmen. Ginge es allein nach den Wünschen der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW), bliebe der Strommarkt weiter mit festen Versorgungsgebieten und Konzessionsverträgen mit den Gemeinden eine „wettbewerbsfreie Zone“. VDEW-Chef Horst Magerl bringt das so auf den Punkt: „Besser keine Richtlinie als diese.“

Kein Verständnis für den spanischen Vorschlag hat man auch beim Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) in Köln, bei dem die 870 deutschen Stadtwerke organisiert sind. Heinrich Decker, Leiter der Europa-Abteilung: „Bei den beiden Modellen werden die Kraftwerke bevorzugt, die den Strom, aus welchen Gründen auch immer, am billigsten erzeugen.“ Er befürchtet deshalb ein „Rosinenpicken“: Die großen Stromkonzerne werden versuchen, den Kommunalunternehmen ihre Industriekunden abzujagen. Bei diesem Preiskampf sieht Dieter Seifried vom Freiburger Öko-Institut die ökologische Energieerzeugung auf der Strecke bleiben: „Kraft- Wärme-Kopplungsanlagen, die gleichzeitig Strom und Wärme produzieren, werden unattraktiv für die Betreiber.“ Kritik an der geplanten Energierichtlinie gibt es auch von der ÖTV aus Stuttgart. Die Gewerkschaft sieht gleich 10.000 Arbeitsplätze in der Stromwirtschaft gefährdet, weil sich nur die großen Kraftwerke mit relativ wenigen Beschäftigten halten könnten.