Jetzt ist Kohl gefragt

■ Bündnisgrüne legen Gutachten zum Vermögen der Sudetendeutschen vor

Bonn (taz) – Die Bündnisgrünen haben Bundeskanzler Helmut Kohl aufgefordert, gegen den Widerstand von Vertriebenenverbänden und CSU auf deutsche Entschädigungsansprüche gegenüber der Tschechischen Republik endlich zu verzichten. Nach einem Gutachten des renommierten Berliner Völkerrechtlers Christian Tomuschat bestehen keine rechtlichen Hinderungsgründe gegen ein Abkommen zwischen Bonn und Prag, das einen Schlußstrich unter die Vergangenheit von Okkupation, Krieg und Vertreibung zieht. Eine Lösung hänge deshalb alleine vom „politischen Willen“ der Bundesregierung ab, sagte Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer gestern bei der Vorstellung des von den Grünen in Auftrag gegebenen Gutachtens in Bonn.

Antje Vollmer geht davon aus, daß die Verhandlungen zwischen Bonn und Prag in die „kritische Phase“ getreten sind, und die „letzte offene Frage der deutschen Außenpolitik“ bis Ende Januar gelöst sein könnte. Die gemeinsame Erklärung beider Parlamente, über die beide Seiten momentan sprechen, werde voraussichtlich eine „moralische Distanzierung“ von den Vertreibungsbestimmungen der Beneš-Dekrete und dem Amnestiegesetz der Nachkriegs- Tschechoslowakei enthalten. Zumindest gebe es von tschechischer Seite keine Kräfte, die eine solche Erklärung verhindern wollten. Neben einer Stellungnahme zum Münchner Abkommen von 1938 soll in der Erklärung eine gemeinsame Stiftung begründet werden, aus der die Opfer des Nationalsozialismus sowie „besondere Härtefälle“ von Vertriebenenschicksalen entschädigt werden.

Der Berliner Professor Tomuschat, laut Vollmer eine politisch unabhängige „völkerrechtliche Koryphäe“, kommt in seinem Gutachten zu dem Schluß, daß den nach 1945 aus ihrer Heimat vertriebenen Sudetendeutschen „Individualansprüche wegen der von ihnen erlittenen Schäden“ nicht zustehen. Auch gegenüber der Bundesrepublik könnten sie solche Ansprüche für den Fall nicht geltend machen, daß Bonn seine Forderungen gegenüber Prag fallen lasse. Damit ist nach Meinung von Antje Vollmer das bisher von sudetendeutschen Verbänden und der bayerischen CSU vorgebrachte Hauptargument gegen eine Verständigung mit Prag vom Tisch.

Einer möglichen Klage der Sudetendeutschen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen ein deutsch-tschechisches Abkommen sieht Antje Vollmer gelassen entgegen: Die Karlsruher Richter hätten aus politischen Gründen auch die Enteignungen ostdeutscher Großgrundbesitzer zwischen 1949 und 1949 akzeptiert. Hans Monath