Reime und Schäume aus dem Untergrund

■ Ein Jahr Social Beat-Literatur in Bremen / Am 30.12. trifft sich die Gemeinde - natürlich im Akas-Club

Es gibt kein Publikum. Denn es gibt keine Grenze zwischen denen, die sich produzieren, und denen, die zuhören, beim Social Beat. Jeder darf sein Innerstes in Wort und Geste nach außen drehen. Ob jeder kann, ist zweitrangig. Eine ästhetische Zensur findet nicht statt, wenn sich die Social Beat-Gemeinde den Herzschmerz von der Seele liest. „Social“ betont den Kollektivgedanken. „Beat“ das Pulsierende und – im amerikanischen Slang – das Desillusionierte. Alles ist erlaubt. Formal und inhaltlich. Denn eine Wahrheit gibt es nicht, das heißt: jeder hat seine eigene gültige und braucht sich nicht damit rumzuquälen, nach der der universalen zu suchen. So hat sich die Social Beat-... Bewegung?, besser: Splittergruppe ein bequemes Nest gebaut, das niemanden, auch nicht den banalsten Phrasendrescher mit poetischen Allüren ausgrenzt. Man kann es auch anders sehen: Bei Social Beat-Lesungen gibt's keine Schwellenangst, „open mike“ heißt das Zauberwort. Offen ist das Mikrophon, und zwar für alle – und alle Sprechblasen.

So auch im Akas-Club in Bremen, dem Hauptquartier der hiesigen Szene. Am 30. heißt es ein Jahr Social Beat Events in Bremen. Die Generalprobe fand schon zwei Wochen vorher statt in den Souterrain-Räumen mit Wohnstuben-Flair des Clubs in der Weberstraße. Vor der kargen Mini-Bühne ein paar Tische, darum ein paar Bremer Vertreter der unlängst noch als Generation X gehandelten Spezies. Pilzköpfig mit engen Grobstrick-Rollis und Schlaghosen angetan die Herren, langmähnig Sixties-Biester die Damen.

Angekündigt für den Abend sind die Bremer Social Beat-Initiatoren Bastian Böttcher, Dennis Busch und Altmeister Günther Kahrs („Meister Propper“) als gutgelaunt-abgeklärter Conférencier. Angekündigt, aber was heißt das schon? Wer als nächstes liest, ergibt sich spontan. Du wolltest doch noch, na komm, na gut ... Etc.

Bastian Böttcher, 21, Rapper der Bremer HipHop-Formation „Zentrifugal“, findet seinen Sprechgesang gut genug, ihn auch noch a cappella zu servieren. Das fand die Berliner Literaturwerkstatt auch. Böttcher gewann eine Reise zum New Yorker „Poetry Slam“, dem US-Pendant des Social Beat. Da stand er im November auf dem Programm des dortigen Goethe-Institutes, immerhin zusammen mit Büchner-Preisträger Durs Grünbein. Der „Deutsch-Nuyorican Poets Slam“ will „metaphysische Mauern einreißen und sie durch poetische Brücken ersetzen“, heißt es im Programm des ehrwürdigen Goethe-Instituts.

So ambitioniert geht es nicht zu im eine Spur weniger ehrwürdigen Akas-Club. Wo sich Dennis Busch in Positur stellt und, lautstark auch ohne „mike“, den „Soundtrack zum Dasein“ in die Runde bellt. Und das „Japanische Gedicht“. Stilprobe, Strophe 1: „Er fickte die hundert Meilen von / T'o Tlakai nach Tse Lani“. Strophe 2: „Gefickter Knabe war sehr müde, / aber er fand keine Ruhe.“ Und 3: „Alles Gute & Wahre, was er gefickt hatte / erfüllte sein Wesen (...).“

Ein paar Sekunden vergehen, bis Busch sich erinnert, wie alt er ist. 24. Von Social Beat läßt sich natürlich nicht leben. Und von „Orchidee und Peitsche“, seinem in Eigenregie gedruckten Gedichtbändchen erst recht nicht. Aber irgendwie ist das auch nicht so wichtig. Wichtig ist das I Ging-Emblem vor den Texten. Von wegen Ganzheitlichkeit. „Erschaffe, was du suchst“, das will Dennis Busch, der „früher mal Bücher in der Uni verkauft hat.“

71679 Asperg. Irgendwo bei Ludwigsburg. Sitz der „Social Beat Centrale Süd“. Dortselbst das 3. Social Beat Festival. Mit den Altmeistern, die an Kerouac, Ginsberg und Burroughs noch ziemlich starke Erinnerungen haben: Kiev Stingl (Jahrgang 45), Jürgen Ploog (Jahrgang 35) und – Sascha Anderson, wegen seiner unrühmlichen Stasi-Verstrickung auch als Sascha Arschloch bekannt. „Alles Selbstdarsteller“, sagt Günther Kahrs alias Meister Propper vom Büro für Lebensfreude, der auch geladen war. Und, anders als auf den „Libertären Tagen“ 1993 zu Frankfurt, auch zu Worte kam. In Frankfurt besetzten 40 Frauen aus Bremens „autonomer Lesbenszene“ Kahrs' Info-Tisch. Unter Gewaltandrohung kam es statt zur Social Beat-Performance zu handfesten Vorwürfen: „Sexist“ sei er, weil er das Dogma verletzt hätte, alle Gewalt ginge vom Manne aus, nachdem er zugegeben hatte: „Ich wurde von meiner Mutter mißbraucht.“ Solche Angriffe erträgt Günther Kahrs mit Fassung. Und sorgt weiter dafür, daß der Social Beat in Bremen manche seltsame Blüte treibt.

Ganz gewiß am 30. Dezember ab 21.33 Uhr. Dann sind sie alle wieder dabei im lauschigen Akas-Club. Kersten Flenter, Henning Chadde und Sünje aus Hannover Äwir berichtetenÜ, C.C. Kruse und Manfred Kirschner aus Achim, Frauke Mattfeld und Dennis Busch, Bastian Böttcher und Günther Kahrs. Das Mikro wird natürlich auch für alle anderen sperrangelweit offenstehen und Günther Kahrs mit „Freuden-House-Musik“ durchs Programm führen. Social Beat-Übervater Andy Warhol hätte seine Freude dran. Hier wird sein Diktum wahr, wenn auch in bescheidenem Rahmen: „Heute kann jeder für eine Viertelstunde ein Star sein.“ Wobei das natürlich keiner sein will. Vielmehr gilt auch am 30. Dezember das olympische Motto: Dabeisein ist alles.

Alexander Musik