Lehmschicht unter Druck

■ Öffentliche Unternehmen organisieren sich neu / Mittleres Management als Bremser / Die ÖTV organisiert Bremer Dialog

Den öffentlichen Betrieben bläst der Wind des Wettbewerbs schärfer ins Gesicht. Die von der Europäischen Union verordnete Liberalisierung von Märkten wie der Stromversorgung, der Müllabfuhr oder des öffentlichen Nahverkehrs zwingt sie, ihre interne Organisation umzustellen, die Bedürfnisse der Kunden in den Blick zu nehmen und sich um die Kosten ihrer Dienstleistungen zu kümmern. Vorbei sind die Zeiten, in denen wohlmeinende Politiker je nach Bedarf von Stadtwerken, Verkehrsgesellschaften oder Entsorgungsbetrieben an der Gebührenschraube drehten.

Auch in Bremen herrscht in den Vorstandsetagen der städtischen Eigenbetriebe und der privatrechtlich organisierten Aktiengesellschaften mit öffentlicher Beteiligung ebenso wie bei der Mehrzahl der Arbeitnehmervertreter Einvernehmen darüber, daß neue Konzepte notwendig sind. Die Neuorganisation ist im Gange.

Das war der Tenor einer Veranstaltung der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), bei der Betriebs- und Personalräte, Gewerkschaftsfunktionäre und Vorstandsmitglieder der Informations- und Datentechnik Bremen (IDT) , der Bremer Entsorgungsbetriebe (BEB), der Bremer Straßenbahn AG (BSAG) und der Stadtwerke Bremen erstmals ihre Erfahrungen mit der Neuorganisation ihrer Betriebe austauschten. Als Experten für den Umbau öffentlicher Unternehmen hatte die ÖTV Frieder Naschold, Professor am Wissenschaftszentrum Berlin eingeladen.

Die ÖTV hofft, nun ein „Modernisierungsnetzwerk für den öffentlichen Sektor“ aufzubauen. Kundenorientierung bedeute etwa flexiblere Öffnungszeiten, intern sollten Akten anstelle des Bürgers durch die Abteilungen laufen, erläuterte die Bremer ÖTV-Geschäftsführerin Margareta Fohr-beck. Doch bei den Reformen bleibe für die Gewerkschaft ein Dilemma, sagte Nik Simon aus der Stuttgarter ÖTV-Hauptverwaltung am Rande der Veranstaltung .

Denn Umstrukturierung und Rationalisierung von Arbeitsprozessen bedeute oft auch Personalabbau. Die ÖTV werde jedoch sinnvolle Veränderungen zugunsten der Kunden nicht aufhalten, auch wenn Arbeitsplätze verloren gingen, sagte Simon. „Der öffentliche Dienst ist kein Selbstzweck“.

Einig war die Versammlung, daß Reformen einerseits von der Geschäftsführung angestoßen werden müßten, andererseits aber nur mit Beteiligung der Beschäftigten Erfolg haben könnten, wobei das Ausmaß dieser Beteiligung unter Gewerkschaften und Vorständen durchaus umstritten blieb.

In die Zange gerate bei dem Reformdruck von unten und dem Kostendruck von oben die „Lehmschicht“ der mittleren Manager, sagte Hubert Resch, Arbeitsdirektor bei der BSAG. Deren Aufgaben würden entweder wegrationalisiert und nach unten verlagert oder sie müßten als eigenständige interne Unternehmer einen höheren Druck aushalten, so hat der Wissenschaftler Naschold beobachtet.

Für einen Eigenbetrieb wie die BEB, deren angepeiltes Ziel „Kundenzufriedenheit“ etwa durch den Ärger um die codierten Mülltonnen arg beeinträchtigt worden ist, stellt sich laut Geschäftsführer Jochen Leinert das Problem, daß Aufträge nicht von den Kunden, sondern von der Politik kommen. „Unsere Müllmänner müssen sich aber die Schelte der Bürger anhören“.

Einen ähnlichen Zwiespalt formulierte Jörg Willipinski, Arbeitsdirektor bei den Stadtwerken. Einerseits werde politisch aus ökologischen Gründen ein hoher Strompreis gefordert, andererseits verlangten wirtschaftspolitische Überlegungen nach einem niedrigen Preis. Für die IDT, das der Verwaltung EDV-Dienste anbietet, sei die Sache einfach, sagte Betriebsleiter Wolfgang Golasowski: Bekomme man einen Auftrag nicht, stimme etwas mit den eigenen Kosten nicht.

Doch der Markt macht nicht alle öffentlichen Unternehmen seelig, auch wenn sie sich durch die Neuorganisation auf Konkurrenz in ihrem Sprengel vorbereiten. Mit Billiganbietern, die soziale Standarts nicht einhielten, könne ein Unternehmen wie die BSAG nicht konkurrieren, gab Resch zu Bedenken. Einigkeit herrschte trotz des privatwirtschaftlich anmutenden Managerjargons darüber, daß die Struktur der kommunalen Wirtschaft grundsätzlich erhalten bleiben müsse. Unternehmen in öffentlichem Besitz seien notwendig, um die Marktkräfte zu bändigen, die sonst in eine gefährliche Firmenkonzentration und damit in private Monopole mündeten. jof