Selbstbildnis als Pilzkultur

■ Abfallalchimie: Die Galerie Nothelfer zeigt Werke von Dieter „Fluxus“ Roth

König Midas stand vor einem Problem: Die göttliche Gabe, per Berührung alles in Gold verwandeln zu können, erwies sich schon beim Essen als Fluch. Auch im Mittelalter drängten Generationen von Alchimisten nach der Zauberformel, die aus profanen Substanzen edle Metalle machen würde. In dieser Tradition steht der mit dionysischen Zügen ausgestattete Allround-Künstler Dieter Roth, der geradezu zwanghaft jedes erreichbare Material wenn nicht in Gold, so doch in Kunst transformiert.

Berühmt wurde der gelernte Graphiker, dessen unter dem Namen Dieter Rot veröffentlichten literarische Werke Titel wie „Typische Scheiße“ tragen, mit ebenso vergänglichen wie eßbaren Skulpturen. In den frühen Siebzigern aus Schokolade geformt, sind die nicht luftdicht versiegelten Exemplare heute als Heimstätten von Maden und Pilzkulturen der Alptraum ihrer Restauratoren. Dennoch sorgt der farbenprächtige Verfall bei Roths Fans für Begeisterung, wie in einem in Band 39 der Werkausgabe abgedruckten Brief nachzulesen ist: „Vier Jahre permanente Aktion für 300 Mark: billig, wenn man denkt, was heutzutage ein Flug von Hamburg nach New York kostet!“

Einen Einblick in Breite, Stärken und Schwächen des Rothschen Schaffens vermittelt die aktuelle Ausstellung in der Galerie Georg Nothelfer. 16 wenig aufregende Radierungen bestätigen, was Roth über seine Haltung zur Massenproduktion für den Kunstmarkt sagt: „Ich fahre mit der Farbwalze einmal über den Litho-Stein – ruck – das zahlt mir den Flug nach Reykjavik. Und – zuck – zurück, das zahlt mir den Rückflug!“

Ähnliches gilt für schnell auf große Bögen geworfene Kohle- und Bleistiftzeichnungen mit Titeln wie „Selbstbildnis als Horizonttier (mit Rückenwind)“, „Traurige Zeichnung“ oder „Selbstbildnis als horizontaler Schmutz“. Neben einer Gemeinschaftsarbeit mit Stefan Wewerka und einem Multiple aus Roths Fluxus-Periode sind auch großformatige Assemblagen ausgestellt, die dem Produkt die Produktionsmittel einverleiben. Das 1987 entstandene „Bild mit Hemd (Klappe)“, dessen expressiver Duktus an den frühen Jackson Pollock erinnert, versammelt am Fußende die bei seiner Entstehung verwendeten Farbtöpfe; quer über das Bild gespannte Schnüre halten die Pinsel.

Noch faszinierender ist das fast viereinhalb Quadratmeter große „Etwas mit dem goldenen Ei“, an dem Roth von 1974 bis 1988 arbeitete. Ein mit drei funktionierenden Uralt-Kassettenrekordern und zwei Glühbirnen verbundener Altar der Obsession für Abfall, Bricolage und Chaos. Auf ein massives Holzbrett genagelte Socken stehen neben niedlichen Osterhasen-Aufklebern, auf einer in halber Höhe angebrachten Ablage wuchert Krimskrams, und Spuren neon-orangener Sprühfarbe kreuzen das tiefe Blau eines Kanisters, der zu Füßen des Objekts abgestellt wurde. Die gerahmte Bedienungsanleitung dieser Wunschmaschine kommentiert: „Wenn die Apparate nicht mehr laufen, darf das Bild verstummen.“

In seiner Dichte ähnlich überzeugend ist das auf einen überdimensionalen Holzrahmen montierte „Landkartenbild“, das eine Palette, eine Gardinenstange, Kippen, Polaroids aus seiner Entstehungszeit und leere Gurkengläser in einem 35 Zentimeter tiefen Objekt zusammenbringt. Der Versuch, das in diesen drei Fällen erfolgreiche Prinzip des magischen Sammelns und Bastelns zu beschleunigen und einen aufklappbaren Holzkasten („Vier Tageszeiten“) mit Farbgläsern und Sprühdosen qua Datierung und Signierung in den Rang eines Kunstwerks zu erheben, mißlingt jedoch. Denn die nachträgliche Bearbeitung nimmt dem radikalen Readymade seine Kraft und stellt es in eine Reihe mit den anderen Ansammlungen bunt bemalter Reste.

Auch die mit Übermaler Arnulf Rainer gemeinsam durchgeführte Überzeichnung einer Radierung des Gugginger Schizo-Künstlers August Walla wirkt eher bemüht. Weniger ist nicht grundsätzlich mehr, dreifach hält nicht immer besser. Gunnar Lützow

Dieter Roth, Galerie Georg Nothelfer, Uhlandstraße 184, Charlottenburg. Bis Mitte Januar. Di.-Fr. 14 bis 18, Sa. 12 bis 14 Uhr