Gute Gründe für Spritzen im Knast

■ Abschlußbericht des Schweizer Pilotprojekts zur Vergabe von Einwegspritzen in Haftanstalten ist rundum positiv. Die SPD will sich in Koalitionsgesprächen für Berliner Probelauf einsetzen. Die CDU ist gesp

Nach dem positiven Verlauf eines Schweizer Pilotprojekts zur Vergabe von sterilen Einwegspritzen im Knast könnte jetzt auch ein Berliner Probelauf starten. Für den SPD-Gesundheitspolitiker Hans-Peter Seitz ist dies „ein essentieller Verhandlungsgegenstand bei den Koalitionsgesprächen mit der CDU“.

In der CDU ist die Vergabe von Spritzen jedoch umstritten. Während die Gesundheitspolitiker die präventive Maßnahme befürworten, sind die Innen- und Rechtspolitiker strikt dagegen. Es dürfte daher alles andere als einfach sein, dies in Koalitionsverhandlungen durchzusetzen. Der Senatsverwaltung für Justiz liegt der Abschlußbericht seit kurzem vor, er wird noch geprüft. In der Vergangenheit hatte Justizsenatorin Lore- Maria Peschel-Gutzeit (SPD) wegen Sicherheitsbedenken große Vorbehalte gegen die Spritzenautomaten geäußert.

Im Abschlußbericht des Pilotprojekts wird die Ausgabe von sterilen Einwegspritzen in der Schweizer Frauenhaftanstalt Hindelbank rundum positiv beurteilt. Der riskante Tausch von Spritzen unter Gefangenen, der das Ansteckungsrisiko bei Infektionskrankheiten erhöht, ist stark zurückgegangen. Die im Vorfeld geäußerten Befürchtungen hätten sich nicht bewahrheitet. So habe sich weder der Drogenkonsum erhöht, noch sei das Personal mit den Kanülen bedroht worden. Es gab auch keine Drogen-Neueinsteigerinnen. Positiv vermerkt der Bericht auch, daß keine Neuansteckungen mit dem HI-Virus oder mit Hepatitisviren festgestellt wurden. Auch Spritzenabszesse kamen nach der freien Abgabe der Spritzen deutlich seltener vor. Sowohl die Spritzenvergabe als auch die begleitenden Aufklärungsveranstaltungen wurden von den Häftlingen positiv beurteilt. Auch beim Gefängnispersonal sei die Maßnahme mehrheitlich akzeptiert worden. Die Verfasser halten daher die Ausgabe von Spritzen für „auch in anderen Gefängnissen gerechtfertigt“.

Während der einjährigen Testphase wurden an die durchschnittlich 87 Insassinnen insgesamt 5.335 Spritzen ausgegeben. Im Schnitt wechselte also jede Insassin alle sechs Tage ihre gebrauchte Spritze gegen eine neue aus.

Nach den Vorstellungen der Bündnisgrünen könnte in Berlin ein Pilotversuch schon im Frühjahr beginnen. Bereits im Oktober 1994 hatte sich der Gesundheitsausschuß des Parlaments dafür ausgesprochen. Der Antrag des bündnisgrünen Gesundheitspolitikers Bernd Köppl war aber im Hauptausschuß nicht mehr beraten worden. Jetzt will er einen neuen Vorstoß machen.

Denn die Ergebnisse des Pilotprojekts verdeutlichen, wie wichtig Prävention in Haftanstalten ist. Dabei geht es nicht nur um die Vermeidung von HIV-Infektionen, sondern auch um Hepatitis. Von den 94 untersuchten Insassinnen waren sechs Prozent HIV-infiziert. Jede zweite war mit Hepatitis B infiziert, mehr als jede dritte mit Hepatitis C. Beide Hepatitisformen können leicht chronisch werden und schränken die Leistungsfähigkeit dauerhaft ein.

Weil Spritzen in Haftanstalten verboten und entsprechend rar sind, stellt der von vielen praktizierte Spritzentausch das Haupt- Ansteckungsrisiko dar. Wie schon in 14 anderen Schweizer Studien zeigte auch der Hindelbanker Testlauf, daß der Spritzentausch markant abnimmt, wenn es Alternativen gibt. Vor dem Anlaufen des Projekts berichteten in Hindelbank 8 von 19 Insassinnen, die Drogen injizierten, daß sie die Spritze mit anderen gemeinsam benutzten. Ein Jahr nach dem Installieren von Spritzenautomaten praktizierte dies nur noch eine Gefangene. Dorothee Winden