■ Pazifisten sind für sie naiv, sie schwören auf Realpolitik. Sie reden von deutscher Verantwortung und würden auch in Bosnien kämpfen – wenn nicht die Vergangenheit wäre. Berliner SchülerInnen streiten über den Bundeswehreinsatz in Ex-Jugoslawien: „Pech gehabt! Wir sind in der Nato.“
taz: Mit Waffen soll die Bundeswehr den Frieden in Bosnien sichern. 4.000 Soldaten stehen zum Abmarsch bereit. Würdet ihr euch gern ein Gewehr schnappen und mitziehen?
Wolf: Wenn ich nicht Deutscher wäre und ausgerechnet in Bosnien kämpfen müßte, könnte ich mir das vorstellen. Es gibt einfach Grenzen, wo eingeschritten werden muß. Im Zweiten Weltkrieg waren wir auch froh, daß die Alliierten Deutschland befreit haben.
Skrupel wegen des Einsatzortes?
Wolf: Wegen unserer Geschichte. Ich find' es generell problematisch, daß Deutschland ein eigenes Heer hat und außerhalb der Bundesrepublik kämpfen soll. Deutsche Soldaten waren schon genug unterwegs.
Leonie: Mit Soldaten nach Bosnien zu gehen seh' ich als einzige Lösung. Da geht es nur mit Druck.
Den müssen ausgerechnet deutsche Soldaten machen?
Ariane: Wir sind in der UNO und der Nato, und in diesem Rahmen sollten wir auch an Einsätzen teilnehmen, die der Wahrung der Menschenrechte dienen.
Johannes: Es ist ein Signal dafür, daß die Deutschen nicht länger bereit sind, sich hinter ihrer Geschichte zu verstecken.
Militärs nennen das „Normalisierung“.
Katrin: Natürlich denkt man aufgrund unserer Geschichte: O Gott, ein Deutscher nimmt eine Waffe in die Hand. Aber die Deutschen in einer UNO-Truppe kämpfen ja nicht, um unsere nationalen Interessen zu sichern oder so etwas Seltsames.
Friederike: In Bosnien geht es um Völkermord. Da kann man sich nicht mit der deutschen Geschichte rausreden.
Hast du einen Freund?
Friederike: Ja.
Und wenn der zum Bund ginge und sich freiwillig für einen Kampfeinsatz melden wollte?
Friederike: Ich würde es vorziehen, daß er Zivildienst macht. Aber wenn er wirklich zum Bund wollte, sollte er auch zu solchen Einsätzen bereit sein.
Leonie: 50 Jahre nach Kriegsende finde ich das Argument mit unserer Geschichte überholt. Wir sind eine Generation, die mit Nazis eigentlich nichts mehr zu tun haben sollte.
Katrin: Als Deutsche hat man immer ein schlechtes Gewissen. Aber ich finde es problematisch, daß bei einem alle Warnlampen angehen, wenn man den Begriff „deutsch“ nur hört. Das ist dann immer nur Mist und alles ganz kacke und so.
Eric: Eben ein Schimpfwort...
Katrin: Ja, genau. Aber für mich hat es keine tiefere Bedeutung. Nur aufgrund öffentlicher Beeinflussung denk' ich, wenn ich dieses Wort höre: O Gott! Natürlich gibt es auch Nationalisten in Deutschland, aber es gibt bestimmt genauso viele nationalistische Franzosen. Das Problem entsteht manchmal erst dadurch, daß man darüber nachdenkt, ob man als Deutscher bestimmte Sachen machen kann oder nicht.
Mundo: Soll Deutschland jetzt so werden wie Frankreich, das mit Soldaten seine Atomtests auf Moruroa schützt? Wenn das Normalisierung ist, sollte man Angst davor haben. Es wäre ja auch nichts Großartiges passiert, wenn die Deutschen nicht auf den Balkan gehen würden. Davon bricht die Nato nicht zusammen.
Wolf: Nur weil es anderswo vielleicht mehr Nationalisten hat als bei uns, muß man den Nationalismus hier nicht wieder einführen. Man kann es ja auch mal besser machen.
Johannes: Aber die Deutschen müssen jetzt Verantwortung übernehmen. Die Geschichte darf man zwar nicht vergessen, aber man darf sie nicht als Vorwand benutzen. Nach 50 Jahren haben wir andere Vorzeichen und müssen für die Politik, die wir heute machen, auch einstehen.
Und deshalb unser Militär schicken?
Ariane: Bei unserer Außenpolitik ist doch in nächster Zeit nicht zu befürchten, daß Deutschland plötzlich aus allen Bündnissen ausbricht und wieder neue Herrschaftsansprüche stellt.
Wolf: 50 Jahre sind eben nicht genug. Das sieht man doch gerade in Jugoslawien. Wer hätte denn gedacht, daß dort nach 50 Jahren jugoslawischem Staat alles auseinanderkracht und in Nationalismus verfällt.
Eric: Es geht doch nicht darum, irgendwelche Fristen einzuhalten.
Mundo: Für die Weltöffentlichkeit ist klar, daß Deutschland nicht mehr agiert wie vor über 50 Jahren. Es ist ein ganz deutsches Phänomen, so darüber zu diskutieren.
Antonia: Gar nichts zu machen, find' ich sehr zweischneidig.
Wolf: Ich hab' nicht gesagt, wir sollten gar nichts machen. Aber warum mit Waffen? Außerdem find' ich es falsch, daß dort statt der UNO die Nato als westliches Verteidigungsbündnis auftritt.
Marko: In Deutschland sollte man sich doch mehr Gedanken über zivile Hilfen machen. Wie man in Bosnien Schulen aufbaut und Kitas und so. Soldaten sind so teuer, und dieses Geld kann man bestimmt sinnvoller verwenden.
Eric: Das ist natürlich die angenehmere Lösung und besser mit dem Gewissen vereinbar.
Wir spielen die Saubermänner und lassen die anderen die Drecksarbeit machen?
Eric: Ein bißchen. Wenn Deutschland Mitglied in der UNO und Nato ist und die solche Einsätze machen, kann Deutschland sich nicht rausziehen.
Mundo: Und zu den Soldaten sagst du dann: Pech gehabt, wir sind in der Nato und müssen da unsere Pflicht tun. Also geh bitte an die Front und erschieß jemanden.
Leonie: Bisher betrifft es ja nur die Berufs- und Zeitsoldaten.
Eric: Und denen ist doch klar, daß sie in eine solche Situation kommen können. Als Berufssoldat hat man 'ne gute Ausbildung, um Leute umzubringen.
Ariane: Es werden sich immer irgendwelche Idioten finden, die versuchen, Krieg zu führen. Solange es solche Leute wie den Serbenführer Karadžić gibt, die auf territoriale Gewinne aus sind, muß man sich verteidigen können.
Eric: Jetzt will sie bestimmt wissen, ob wir als Schüler eines evangelischen Gymnasiums militärische Einsätze mit unserem christlichen Gewissen vereinbaren können.
Könnt ihr?
Ariane: Wenn man die Menschenrechte bewahren will, muß man auch als Christ dafür einstehen. Im christlichen Glauben ist ja wohl die Wahrung der Menschenrechte implizit enthalten...
Wolf: Seit wann steht in der Bibel was von Menschenrechten? Außerdem hab' ich den christlichen Pazifismus schon längst fallengelassen. Der hat sich einfach als unpraktikabel erwiesen.
Die Ziele der Friedensbewegung auch?
Wolf: Wer heute noch Utopien hat, der sollte dringend zum Arzt gehen.
Ariane: Was helfen denn Utopien in Bosnien? In solchen Situationen muß man pragmatisch denken. Man kann doch nicht hoffen, daß dieser Friedensvertrag von alleine hält, ohne daß da Truppen stationiert werden.
Katrin: Wir sitzen hier alle schön und diskutieren. Da unten ist es ein bißchen anders. Es ist doch völlig klar, daß man jemandem, dessen Frau vergewaltigt wurde, nicht mit Pazifismus kommen kann. Der denkt daran, wie er den Vergewaltiger um die Ecke bringt.
Eric: Die Friedensbewegung hatte doch einen ganz anderen Ausgangspunkt: Sie hat sich gegen die Atompolitik der beiden Großmächte gewandt. Heute geht es meist um ethnische Konflikte. Da kann man nicht mit Friedensutopien kommen. Da kann man nur Realpolitik machen.
Mundo: Utopische Politik gibt es nicht. Utopie ist etwas, was man im Hinterkopf behält. Jeder hat utopische Ziele wie, Frieden zu schaffen oder Demokratie, oder wovon man gerade träumt. Letztendlich macht man aber Realpolitik, und da muß man die angemessenen Mittel finden.
Zerbst: Ein Waffenembargo ist doch ein sinnvolles Mittel, um Kriege zu beenden. Auch in Ex-Jugoslawien. Das zu überwachen wäre die einzig richtige Aufabe für die Bundeswehr.
Mundo: Gerade die Bundesrepublik verdient sich doch dumm und dämlich an Waffen und Minen...
Zerbst: Einerseits heißt es immer, wir wollen Frieden auf der ganzen Welt, und gleichzeitig sind wir der zweitgrößte Waffenlieferant...
Eric: Aber die Waffen liefert nicht der deutsche Staat, sondern die deutsche Industrie...
Zerbst: Aber der Staat könnte das verbieten...
Eric: Da wird er sich schön hüten. So was läßt sich politisch unmöglich durchsetzen. Du kannst niemals sagen, wir schaffen einen der wichtigsten Industriezweige des Landes ab, weil wir alle Pazifisten sind. Schön wär's ja!
Johannes: Für uns als Deutsche wär das ja ganz nett...
Zerbst: Aber wenn wir's nicht tun, dann tut's ein anderer, was?
Johannes: Ja, so ist es doch! Du mußt doch die Realität sehen. So was ist zwar gut gemeint, aber undurchführbar.
Mundo: Wenn man eine Waffenindustrie hat, will die auch produzieren, und dazu müssen Waffen verbraucht werden.
Wolf: Waffen sind kein Allheilmittel. Viele Leute denken: Da hat man ein paar Jahre versucht, den Jugoslawienkonflikt diplomatisch zu lösen, das hat halt nicht geklappt. Dann intervenieren wir militärisch, und in einem Jahr ist dann alles perfekt. Ich denke, die Arbeit hat leider jetzt erst richtig begonnen. Ich sehe nicht, daß die Soldaten in einem Jahr abgezogen werden, so wie Clinton es verspricht.
Marko: Militärische Mittel helfen den Leuten, die da leben und vor ihrem kaputten Haus stehen und vielleicht die halbe Familie verloren haben, reichlich wenig.
So argumentieren die Pazifisten bei den Grünen auch. Habt ihr deren Streit zum Bosnieneinsatz verfolgt?
Ariane: Die Grünen haben sehr hohe ideologische Ziele, und die Realpolitiker um Joschka Fischer sehen nun, daß sie damit keine Politik machen können. Es ist ein Zeichen des Wandels in der Gesellschaft, daß realpolitisch gedacht wird.
Mundo: Ich fand die Diskussion der Grünen zu abgehoben. Ob die Bevölkerung überhaupt nachvollziehen kann, worüber die reden? Es wirkte so typisch links und vollintelligent und arscharrogant.
Wolf: Anscheinend kann man solche Debatten in Deutschland nicht führen, ohne gleich in die Ecke der abgehobenen, linken Intellektuellen gestellt zu werden. Findet ihr nicht, daß das eine ganz traurige Entwicklung ist? Ich hätte mir so eine Diskussion in der breiten Öffentlichkeit gewünscht.
Wie wichtig habt ihr die Entscheidung des Bundestages genommen? Habt ihr untereinander darüber diskutiert?
Friederike: Eigentlich nicht so stark – auch wenn es vielleicht so sein sollte.
Zerbst: Die Berichterstattung hat doch nur aus Schlagwörtern wie „historische Verantwortung“ und „Völkermord“ bestanden.
Wolf: Die Diskussion wurde von den Politikern doch bewußt aus der Öffentlichkeit rausgehalten.
Katrin: Solche Debatten müssen eben jedesmal von neuem geführt werden, bevor über einen Einsatz der Bundeswehr entschieden wird. Eine generelle Entscheidung kann man nicht treffen.
Eric: Und du glaubst, daß es dann noch jemanden interessiert? Beim ersten französischen Atombombentest auf Moruroa waren hier in Berlin 10.000 Schüler auf der Straße, beim zweiten noch 500, und beim dritten war's ein Dreizeiler im Tagesspiegel. Genauso wird's bei den Bundeswehreinsätzen sein. Wenn wir Glück haben, geht es vielleicht nicht ganz so schnell. Das Gespräch führte: Bascha Mika
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen