Brüter-Betreiber vor den Kadi

Informationen nach dem schweren Unfall im japanischen Schnellen Brüter zurückgehalten. Den Betreibern droht ein Gerichtsverfahren  ■ Aus Tokio Georg Blume

Zwei Wochen nach dem schweren Unfall in dem japanischen Schnellen Brüter „Monju“ hat sich die atomare Beinahe-Katastrophe an der westjapanischen Küste in einen handfesten politischen Skandal um die Betreiber des fortschrittlichsten Plutoniumreaktors der Welt entwickelt. „Die Betreiber des Schnellen Brüters haben ihr Vertrauensverhältnis zur Öffentlichkeit zerstört“, drückte der japanische Regierungschef Tomiichi Murayama gestern das Volksempfinden aus, nachdem bekanntwurde, wie die Reaktorverantwortlichen in den vergangenen Tagen versuchten, das wahre Ausmaß des Unfalls zu verschleiern.

So konnte das japanische Fernsehen gestern erstmals Videoaufnahmen zeigen, die schon Stunden nach dem Unfall die angsterregenden Schäden im Schnellen Brüter dokumentiert hatten. Dabei ließ sich erkennen, über was Experten bislang nur gemutmaßt hatten: Der Brand im Natrium-Kühlsystem des Reaktors hatte tatsächlich so hohe Temperaturen verursacht, daß sogar Stahlträger zur Schmelze gekommen waren. Erstmals war auch das ein Meter große Brandloch im Kühlrohr des Reaktors zu sehen. Es befand sich genau an der Stelle, wo ein Thermometer die Temperaturen im Kühlsystem mißt. Damit beantworteten die Bilder nicht nur die Frage nach der Unfallstelle, über die seit Tagen gerätselt wurde. Vor allem die Ernsthaftigkeit des Brandes war nun für Laien auf den ersten Blick erkenntlich. „Die Bilder erschienen uns zu lebendig. Deshalb nahmen wir sie unter Verschluß“, gestand die Kraftwerksleitung ein.

Das Eingeständnis weckte in der umliegenden Region von Fukui helle Empörung. Der Präfekturchef verweigerte gestern dem Leiter der Brüter-Gesellschaft eine Audienz, obwohl dieser gekommen war, um sich zu entschuldigen. Vorausgegangen war ein Gerangel mit den Behörden in Tokio, die zunächst ihrerseits den Unfall heruntergespielt hatten. Erst sechs Tage nach dem Ereignis räumte die zuständige Wissenschafts- und Technologiebehörde ein, daß es sich um einen der schwersten bekannten Unfälle der internationalen Brütergeschichte gehandelt hatte. Zuvor hatten Beamte wider besseres Wissen nahegelegt, Unfälle im französischen Schnellen Brüter Superphenix seien schwerwiegender gewesen. Die Öffentlichkeit wurde bewußt irregeführt, da die eigentliche Gefahr im Fall Monju aus dem Brand des Brüter-Kühlmittels Natrium herrührte. Im französischen Brüter war es zwar früher schon zu größeren Natriumlecks gekommen, jedoch nie zu einem so gefährlichen Brand wie jetzt in Japan.

Inzwischen hat Tokio jedoch einen anderen Kurs eingeschlagen: Die Wissenschafts- und Technologiebehörde teilte mit, daß die Verantwortlichen des Schnellen Brüters mit einem Strafverfahren rechnen müssen. Die Brüter-Betreiber hätten nach Einschätzung der Behörde ein Gesetz gebrochen, das sie in Unfallsituationen verpflichtet, der Regierung alle zugänglichen Informationen zur Verfügung zu stellen. Nicht nur für Japan wäre dieses Vorgehen einmalig: „Ich kenne keinen Fall, wo in der internationalen Atomindustrie wegen Informationszurückhaltung ein strafrechtliches Verfahren eingeleitet wurde“, sagte der Atomexperte Mycle Schneider, Leiter des World Information Service on Energy (Wise) in Paris.