Scheinhinrichtung im Hamburger Hafen

Polizeiskandal: Das erste Opfer traut sich auszupacken. Vor allem Schwarzafrikaner wurden von Polizisten belästigt, sexuell mißhandelt, mit dem Tod bedroht und gefoltert  ■ Aus Hamburg Marco Carini

Die Vorwürfe klingen unglaublich. Der Ghanaer Jael Boaleng beschuldigt zwei Hamburger Polizisten, ihn sexuell mißhandelt und anschließend gedroht zu haben, ihn umzubringen. Damit packte jetzt erstmals ein Opfer einer polizeilichen „Scheinhinrichtung“ vor der Hamburger Dienststelle für interne Ermittlungen (DIE) aus, die im Rahmen des Polizeiskandals speziell für die Aufklärung polizeilicher Straftaten eingerichtet wurde. Boaleng machte seine Aussage gestern abend im ARD-Fernsehmagazin „Panorama“ sowie im Hamburger Stadtmagazin HH19 öffentlich. Danach wurde er im Februar diesen Jahres von zwei Beamten aufgefordert, sie zu einem Platz im Hamburger Freihafen zu führen, an dem er Marihuana gekauft hatte. Die Polizisten hätten ihn in einen Container gebracht, in dem sich der Ghanaer vollständig entkleiden mußte. Einer der beiden Beamten hätte ihn anschließend aufgefordert, sich zu bücken, weil er Sex mit ihm haben wolle. Als er sich wehrte, habe ihn der Beamte mit seiner Dienstwaffe niedergeschlagen. Boaleng wörtlich: „Dann hat der Polizist wieder die Waffe an meinen Kopf gehalten. Ich hatte Todesangst. Dann hörte ich ein metallisches Klicken, so als ob jemand den Abzug betätigt hat.“ Brisant an dieser Zeugenaussage ist auch der Zeitpunkt des Vorfalls – ein halbes Jahr nachdem Hamburgs Innensenator Werner Hackmann wegen der Mißhandlungsvorwürfe gegen zahlreiche Hamburger Polizisten und des „unseligen Corpsgeistes“ im Apparat, der die Aufklärung von Beamten-Straftaten verhindere, zurückgetreten war. Öffentlich wurden Informationen über solche Scheinhinrichtungen jedoch erst Anfang März. Damals wurde durch Aussagen des Kronzeugen im Polizeiskandal, des Kriminalkommissars Uwe Chrobok, bekannt, daß Beamte der Revierwache 11 am Hauptbahnhof, die im Mittelpunkt des Hamburger Polizeiskandals steht, mindestens einen Schwarzafrikaner am Freihafen genötigt hatten, sich auszuziehen. Anschließend soll ihm ein Beamter eine Pistole an die Schläfe gehalten haben, während der andere Beamte einen scharfen Schuß knapp am Ohr des Opfers vorbei abgegeben habe. Chrobok zufolge haben die Beamten auf der Revierwache 11 mit der „Scheinhinrichtung“ geprahlt: „Der Neger hat sich fast bepißt und beschissen.“ Doch obwohl Staatsanwälte und DIE-Ermittler zum Zeitpunkt der von Boaleng beschriebenen Vorgänge bereits gegen 80 namentlich bekannte Polizisten ermittelten, fühlten sich die von Boaleng beschuldigten Beamten offenbar weiter sicher. Hamburgs seit einem Jahr amtierender Innensenator Hartmuth Wrocklage sicherte dem aussagewilligen Ghanaer inzwischen „Zeugenschutz“ zu.