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Der blasse Sancho Pansa aus dem Osten

■ Langjährige Haftstrafen für die beiden netten Geiselnehmer von Stuttgart

Stuttgart (taz) – Auch Verbrecher können anständige Menschen sein. Wenn etwas herauskam bei dem Prozeß gegen die Fuhlsbüttel- Ausbrecher und Geiselnehmer Gerhard Polak (36) und Raymond Albert (34) vor der 5. Strafkammer des Landgerichts Stuttgart, dann dies. Leider kennt das Strafgesetzbuch dafür allenfalls mildernde Umstände und keinen Freispruch, weshalb der Wessi Pollak gestern zu 13 Jahren, der Ossi Albert zu elf Jahren Gefängnis verurteilt wurden. Den Solidaritätsabschlag für Albert begründete Richter Wolfgang Pross damit, daß der aus Thüringen stammende, blaßgesichtige Albert eigentlich immer nur das getan habe, was der Wessi Pollak ihm sagte (typisch).

Eigentlich sei Albert (so meinte es der Richter, wollte es aber ganz so auch nicht sagen) zu treudoof, selbständig eine Flucht aus der Haftanstalt Hamburg-Fuhlsbüttel zu planen, daraufhin im Elsaß unterzutauchen, sich Waffen zu beschaffen, am 31. Oktober des vergangenen Jahres in Stuttgart zwei Polizisten als Geisel zu nehmen, mit ihnen durch die halbe Republik zu flüchten, dabei eine Bank zu überfallen, weitere Geiseln zu kidnappen, Autos zu klauen und sich dann festnehmen zu lassen.

Im Herbst 1994 konnte die Nation am Fernsehschirm die Verfolgungsjagd miterleben: Gendarm und zwei „eiskalte Schwerverbrecher“, der eine „Macheten-Mörder“ genannt (Albert), der andere ein „hochgefährlicher Dauerausbrecher“, bewaffnet und zu allem bereit.

Doch schon die Gekidnappten zeichneten gleich nach der Verhaftung der beiden ein ganz anderes Bild: zwei zuvorkommende Jungs, der eine etwas aufgeregt (Polak), der andere eher verschüchtert (Albert), kümmerten sich geradezu rührend um ihre Opfer. Am Ende eines langen Tages wünschte die entführte Polizistin den beiden sogar „viel Erfolg bei der Flucht“, und der nette Albert legte ihr die Fesseln so locker an, daß sie sich gleich darauf selbst befreien konnte. Als Zeugin vor Gericht wiederholte die junge Polizistin, wie freundlich die Geiselnehmer zu ihr waren. Relativ versöhnt war auch eine andere Geisel, ein Spaziergänger aus Hötzelsroda. Ihm schoß einer der beiden versehentlich in den Unterarm. Mit den Worten „Gesundheit geht vor“ fuhren Polak und Albert daraufhin das nächste Krankenhaus an und steckten dem verdutzten Opfer 10.000 Mark in die Jackentasche.

Polak, der gewiefte Antreiber, managte das ganze Unternehmen. Albert, der unbeholfene Erfüllungsgehilfe, tat, was man von ihm erwartete. Das Urteil entspricht etwa der Forderung des Staatsanwalts, der den Vorwurf des Mordversuchs fallen ließ. Weil die Angeklagten freimütig erzählten, konnte der Prozeß gekürzt werden. Die Strafe wurde es nicht. Zu schwer wogen dem Gericht Geiselnahmen, Raub und räuberische Erpressung. Philipp Maußhardt

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