Hundertprozentige Verweigerung

■ Ganz persönlich halten grüne Abgeordnete Distanz zu Olivgrün. Auch grüne Interventionisten betrachten die Bundeswehr als eine Art "Dienstleistungsinstrument". In den Krieg ziehen andere Von Walter Jakobs

Hundertprozentige Verweigerung

Ham'se gedient? Auf diese bei Einstellungsgesprächen im Nachkriegsdeutschland so beliebte Frage ertönt aus der Riege der grünen Bundestagsabgeordneten nahezu eine einstimmige Antwort: Nein! Nur Winfried Nachtwei, für die Fraktion im Bonner Verteidigungsausschuß, machte einst hautnahe Erfahrungen mit olivgrün. Als Leutnant der Reserve kehrte Nachtwei 1967 nach zweijährigem Dienst ins Zivilleben zurück.

Doch einen Wehrpaß besitzt auch der grüne Verteidigungsexperte, der im Bundestag gegen den Bundeswehreinsatz in Bosnien stimmte, nicht mehr. Nachtwei erging es wie vielen Linken, die in jenen Jahren ganz bewußt in die Armee strebten, um sie entweder zu demokratisieren oder um das „Handwerk“ für den erwarteten Volksbefreiungskrieg zu erlernen: Der Verteidigungsminister schmiß sie raus – „ausgemustert“. „Mehr oder weniger“, so erklärt sich Nachtwei heute den Bannstrahl der Armee, habe man ihn wohl „revolutionärer Umtriebe“ verdächtigt. Sein Engagement im „demokratischen Soldaten- und Reservistenkomitee“ schmeckte den Bundeswehrgewaltigen nicht. Traurig stimmt das den Münsteraner Pädagogen nicht: „Stünde ich heute vor der Entscheidung, würde ich ohnehin verweigern.“

Aus dem Munde von Nachtwei mag das irritierend klingen, zählte er doch zu jenen, die schon für den Schutz von militärischen Hilfskonvois in Bosnien plädierten, als den meisten Grünen noch jede deutsche Beteiligung an Blauhelmeinsätzen als pazifistischer Sündenfall galt. Doch Nachtwei argumentiert politisch, „nicht gesinnungsethisch“. Er sieht die Bundeswehr nach wie vor nicht auf dem Weg zu einer nur humanitären Zielen verpflichteten Interventionstruppe. Deshalb sein klares Nein. Für eine gründlich reformierte „Freiwilligenarmee mit einem hohen Anteil von kürzer dienenden Soldaten“, um die Gefahr eines Staates im Staate zu begegnen, könnte er sich dagegen wohl erwärmen.

Zur Zeit will das grüne Milieu dagegen von Soldatenröcken überwiegend nichts wissen. Antje Vollmer, die grüne Vizepräsidentin des Bundestags, steht deshalb mit ihrem Versuch, eine Diskussion über die „Entdämonisierung“ der Bundeswehr zu initiieren, ziemlich allein. Ihre niedersächsische Fraktionskollegin Gisela Altmann spricht in diesem Zusammenhang von einer „moralischen Hochrüstung des Militärs“ und wertet Vollmers Vorstoß als „unverantwortlich und unerträglich“. Schon die von Vollmer geforderte „verbale Abrüstung“ in bezug auf die Bundeswehr geht Grünen wie Altmann, die apodiktisch verkündet, „Militär kann keinen Frieden schaffen“, gegen den Strich. Auch Vollmers Bitte, „Entdämonisierung“ nicht bewußt falsch als Hurrageschrei für militärische Interventionen zu übersetzen, stößt bei vielen Grünen auf taube Ohren. Dabei wirbt Vollmer ganz entschieden dafür, „wesentlich mehr Geist für die Entwicklung einer pazifistischen Außenpolitik aufzuwenden und so dafür zu sorgen, daß Soldaten nicht schießen müssen“. Ganz persönlich wäre es ihr „sehr recht“, wenn ihr sechzehnjähriger Sohn sich demnächst in die Reihen der Kriegsdienstverweigerer einreihte. Während der Bosniendebatte hatte die aus Bayern stammende grüne Abgeordnete Elisabeth Altmann in einer persönlichen Erklärung ihr Nein zum Bundeswehreinsatz auch mit der Kriegsdienstverweigerung ihrer beiden Söhne begründet und wörtlich erklärt, auch die sähen im Einsatz in Bosnien „eine Vorbereitung zu Einsätzen in der ganzen Welt“. Ganz gleich wie die Eltern in Bonn abgestimmt haben, bei den männlichen Kindern der grünen Abgeordneten steht die Bundeswehr nicht hoch im Kurs. Die Kriegsdienstverweigerungsquote liegt bei dem wehrpflichtigen grünen Nachwuchs exakt bei einhundert Prozent.

Bei den Söhnen der ostdeutschen grünen Abgeordneten Vera Lengsfeld stieß das Ja zum Bosnien-Einsatz auf Zustimmung. Ihr Jüngster, selbst bei den Grünen in Berlin aktiv, hatte im Vorfeld des Bremer Parteitages den Realoantrag zu Bosnien unterstützt. Zur Bundeswehr will der Physikstudent nach seinem Studium aller Vorraussicht nach aber auch nicht.

Vom Widerspruch zwischen der Zustimmung zu internationalen Bundeswehreinsätzen und der fast hundertprozentigen Verweigerungsquote im eigenen politischen Milieu mögen die meisten grünen Interventionisten indes nichts hören. So auch der Ingolstädter Abgeordnete Albert Schmidt, der 1969 seinen eigenen Wehrpaß „symbolisch“ verbrannt hatte und nach der Musterung bei der Ersatzreserve II gelandet war. Schmidt würde trotz seiner Zustimmung zum Bosnien-Einsatz „heute auch den Kriegsdienst verweigern“. Wie die meisten anderen Abgeordneten bringt Schmidt die von den Grünen geforderte „Freiwilligenarmee“ zur „Konfliktmoderation“ ins Spiel. In einer solchen Armee zu dienen sei „ein Beruf wie jeder andere auch“ – und dort gingen eben die hin, denen der Sinn danach stehe.

So simplen Auswegen traut der Abgeordnete Manuel Kiper nicht. Der Niedersachse räumt eine gewisse „Schieflage“ ein zwischen dem persönlichen Verhalten und der proklamierten Politik, bei Völkermord zu intervenieren, die „aus unserer antimilitaristischen Grundeinstellung resultiert“. Jetzt stehe den Grünen zur Frage des Militärs ein ähnlicher Diskussionsprozeß ins Haus wie es ihn in Sachen Polizei schon gegeben habe. Kiper wörtlich: „Das Nachdenken darüber hat, auch in bezug auf die Rüstungsproduktion, gerade erst angefangen.“