O magisches Auge!

■ Radio Bremen on 210 meters, 1429 kilocycles wird 50

Am 23. Dezember 1945 sang auf dem Bremer Marktplatz der Domchor „Vom Himmel hoch, Ihr Engel kommt.“ Eine amerikanische Militärkapelle intonierte weihnachtliche Weisen. Bürgermeister Kaisen hielt eine Weihnachtsansprache. Vor Kaisens Bauch stand ein riesiges Mikrofon. Über dieses Mikrofon gelangte die Weihnachtsfeier in die Stuben der Bremer, die es mitbekommen hatten: Es gibt wieder ein Radio in Bremen!

Acht Monate lang war nach Kriegsende Sendepause gewesen. Bis April 1945 hatte die kleine Bremer Station, die über das private Hamburger Radio NORAG funkte, noch Warnungen vor anfliegenden Bombern gesendet. Die Grundlage für das Nachkriegsradio war das technische Equipment des Belgrader Soldatensenders, das in 24 Wagen nach Bremen geschafft wurde. Die Amerikaner beschlagnahmten eine Villa an der Schwachhauser Heerstraße, und kurz vor Weihnachten hieß es dann: „This is Radio Bremen on 210 meters, 1429 kilocycles.“

50 Jahre Radio Bremen – das sind zunächst einmal 50 Jahre Sorgen ums Geld. Lief der Betrieb anfangs mit dem Geld „des amerikanischen Volkes“, wurde später ernsthaft angestrebt, hier einen Staatsfunk auf Adenauers Kosten zu etablieren. Bürgermeister Kaisen war sehr dafür – er hielt wahrhaftig die Unabhängigkeit einer Regierung für gefährdet, wenn der Sender bestimmte, ob die Regierung zu Wort kommen dürfte oder nicht. Der von den Aliierten installierte staatsferne Rundfunk war den meisten deutschen Politikern zunächst suspekt. Der (entgegen den Vorstellungen des Bremer Senats) staatsfern besetzte Rundfunkrat war ein „Geschenk“ der Amerikaner. Es gab eine Zeitlang eine Sendung, in der vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung präparierte Fragen gestellt wurden. Aus Geldnot diente man sich auch einmal einer amerikanischen Kalte-Kriegs-Stiftung an – Geld gegen Sendezeit. Erst 1954 gründete sich die ARD, und mit ihr kam der rettende Finanzausgleich der Länderanstalten.

Gerade eben noch rechtzeitig zum Fest erschien dieser Tage von Peter Dahl und Michael Augustin „Wir grüßen alle unsere Hörer“, das Multi-Media-Buch zur Frühgeschichte des Bremer Radios. Darin kann man all die erheiternden, belehrenden und beeindruckenden Details aus der Aufbauzeit nachlesen. Zuallererst ist das Buch aber ein Fotoalbum aus der guten schlechten Zeit, als die Menschen noch so innig lachen konnten mit ihren mageren Gesichtern. Auch GI Elvis Presley hatte noch Idealfigur, als er 1958 nach Bremerhaven kam und von Reporter Horst Vetter interviewt wurde.

Daß dieses Buch erst jetzt auf den Markt kommt, als das Jubiläumsjahr fast vorüber ist, liegt an der ambitiösen Absicht des Verlages, gleich auf den Zug der Zeit aufzuspringen und ein Multi-Media-Buch vorzulegen. Es liegt nämlich eine CD bei, die einerseits über Radio abspielbar, andererseits als tönende CD-ROM mit animierten Bildern nutzbar ist. Die Produktion erwies sich als konfliktträchtig, und das Ergebnis bedarf gewisser Computer-Grundkenntnisse. Wer über einen voll multimediatauglichen Computer verfügt, darf dann ein Dampfradio mit magischem Auge bedienen und sich dazu Heinz Rühmann ansehen , wie er die Borgward-Werke besucht und sich einen Hansa 1500 aussucht.

Um die CD mit Originalbeiträgen aus der Anfangszeit von Radio Bremen versammelt sich gern die ganze Familie, genau wie früher ums Radio, und lauscht diesen wunderbar mitfühlenden, bildmächtig berichtenden Reportern. Es geht um den Babywäschen-Engpaß, eine Razzia gegen Schwarzhändler, die Ankunft Adenauers auf dem Flugplatz. Da war noch Respekt! Und da war noch - hach! - die immer spürbare Gewißheit, daß ein Radioreporter eine wichtige Arbeit tut. BuS

Michael Augustin, Peter Dahl, Wir grüßen alle Hörer. Edition Temmen, 144 S., 1 CD/CD-ROM, DM 39,90