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Pop-Essays, zu denen man tanzen kann

Die beste Alternative zur Musik für junge Erwachsene: Weihnachtskonzert von The Fall in der Volksbühne  ■ Von Jörg Lau

Zugegebenermaßen hatte ich für ein paar Jahre fast vergessen, daß sie noch da waren – und das ist wahrlich nicht die Schuld von The Fall, haben sie doch unterdessen fleißig weiter Platten herausgebracht. Es sind jetzt, mit der diesjährigen „The Twenty Seven Points“, insgesamt 29 Stück (in 18 Jahren!). Nicht, daß ich sie satt gehabt hätte. Nein, was soll ich sagen, man verliert sich halt irgendwie aus den Augen.

Aber dann, vor ein paar Wochen, auf einer sentimentalen Reise durch meine Plattensammlung, blieb ich an „Grotesque“, „Perverted By Language“, „This Nation's Savings Grace“ hängen. Nach diesen drei LP's mußten es dann noch die Singles „Kicker Conspiracy“ und „Petty Thief Lout“ sein. (Und wo ist eigentlich die phantastische „How I wrote Elastic Man“ von 1980 abgeblieben?) Genug, ich werde mich hüten, die geneigte Leserschaft mit einer Aufzählung meiner Lieblingsstücke zu langweilen.

Ich bin kein Sammler und auch kein Fan und kann also auch nicht legitimerweise an Fachsimpeleien teilnehmen. Aber plötzlich war mir klar: In der Musik von The Fall (und das heißt immer noch: in der Stimme von Mark E. Smith) ist für mich das Beste aus den 80er Jahren wie in Bernstein eingeschlossen – freischwebende Renitenz, Grübelei, menschenfreundlicher Sarkasmus, kurz gesagt, Unabhängigkeit (früher standen sie in Plattenläden unter „Independent“, und das zu Recht und im wörtlichen Sinne).

Anders gesagt: meine 80er Jahre wären ohne den Soundtrack von The Fall überhaupt nicht zu verstehen. Es scheint mir daher auch völlig einleuchtend, daß die Gruppe um den großen Nörgler Mark E. zu Weihnachten ihr erstes Konzert seit Jahren in Berlin ausgerechnet in der Volksbühne gibt, denn dies ist bekanntlich ein Ort des Übergangs, einer der wenigen Orte in Berlin (und in Deutschland überhaupt), an denen man handgreiflich zu spüren bekommt, welche neuen Konstellationen die Neunziger prägen werden.

Die neue Platte, ein Live-Doppelalbum aus den Jahren 92 – 95, gibt für das Weihnachtskonzert zu den schönsten Erwartungen Anlaß. Ich habe mit Erleichterung festgestellt, daß Marks Frau Brix wieder in der Band ist, deren mäßigend-melodiösem Einfluß (Gitarre, Backing Vocals) auf die jungensmäßige Ernsthaftigkeit bis Verbohrtheit, die immer noch der Kern von The Fall ist, einige der fröhlicheren Titel zu verdanken sind.

Es ist eine der erstaunlichsten Geschichten der Popmusik, daß The Fall mit ihrer Ästhetik der Vorläufigkeit, des Dilettantismus, der Bastelei (die wie mit Pritt-Stift zusammengeklebten Cover!) eine der dauerhaftesten Bands aller Zeiten geworden sind. Nicht unwahrscheinlich, daß sie ihr 20jähriges Jubiläum noch erleben werden (1997). Man hat oft genug über sie geschrieben, sie kennten keine Entwicklung. Das ist natürlich Unfug. Richtig ist, daß sie sich nie viel darum geschert haben, ob Gitarrenpop, Grebo (na, wer erinnert sich noch?) oder Grunge gerade zum Modell für die aktuelle „Middle Class Revolt“ (Fall-Titel) ausgerufen worden sind.

Sie haben störrisch an ihrem Stil weitergefeilt und dabei etwas sehr Tröstliches für unsereinen geschaffen, der nun auch schon über 30 ist und doch immer noch nicht auf Musik für junge Erwachsene umsteigen möchte. Mark E. Smith ist der lebendige Beweis, daß es zwischen ewig zornigem, jungen Mann und peinlichem alten Sack noch ein Drittes gibt, eine würdige Form des Alterns: Er ist nämlich Pop-Essayist und The Fall sein Medium.

Den Kollegen Pop-Essayisten aus der Gutenberg-Galaxis, die seinesgleichen bloß beschreiben können, hat er voraus, daß man zu seinen Essays tanzen kann. Und wenn nicht alles täuscht, hat sein Werk in den letzten Jahren durch einen Humor beträchtlich gewonnen, der der alten nuscheligen Beharrlichkeit zur Seite getreten ist. Kommt und hört, wie Mark E. bei „Lost in Music“ mit seinem Manchester-Stimmchen sämtliche drei Sisters Sledge vergessen macht!

Morgen, 22.30 Uhr, Volksbühne, Rosa-Luxemburg-Platz, Mitte

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