Wand und Boden
: Die sich still am Winkel rubbeln

■ Kunst in Berlin jetzt: Gerhard Richter, Peter Hujar, Christiane Möbus, Telematischer Raum

Gerhard Richters Editionen 1965-1993 haben einen fünffachen Boden. Sein „Mao“ von 1968 etwa ist ein endloses Vexierspiel, mit dem die von Hubertus Butin zusammengestellte Retrospektive im Haus am Waldsee aufwarten kann. Das Foto des Parteivorsitzenden hatte Richter in einer Tageszeitung aufgestöbert und verschwommen abfotografiert; dann wurde es mit allen Unschärfen exakt in Öl gemalt und für eine Auflage von 500 Exemplaren noch mal als abgestufter Lichtdruck auf weißem Karton überarbeitet.

Jetzt scheint der abgebildete Porträtrealismus im Medium zu schwinden. Schichtweise nähert sich Richter dem Gegenstand nach malerischem Raster. Und dennoch wird das Bild unwirklich, wenn nicht absurd. Am Ende erscheint die Ikone als obskures Objekt.

Im Unterschied zu Warhols Serie ist Richters Mao in seiner grafischen Auflösung ebensowenig Fotografie wie Malerei, sondern ein Mischwesen beider Medienebenen. Eine monochrome Fläche, aus der sich Gesichtszüge herausschälen. Das aber hat Methode: „Es geht mir ja nicht darum, ein Foto zu imitieren, ich will ein Foto machen. Und wenn ich mich darüber hinwegsetze, daß man unter Fotografie ein belichtetes Stück Papier versteht, dann mache ich Fotos mit anderen Mitteln.“

Daß Gerhard Richter heute als der deutsche Nachkriegsmaler schlechthin gilt, hat auch mit seinem Vermögen zu tun, die Welt der Menschen, Dinge und Nebensächlichkeiten neu und vielleicht besser zu gestalten. Vor allem zweifelt er an ihrer technischen Verfaßtheit. Gleich am Eingang hängt „Ema (Akt auf einer Treppe)“, eine Fotoreproduktion seines vermutlich bekanntesten Bildes von 1966. 25 Jahre nach dem Original bleibt der Print noch eigen: Während am ursprünglichen Akt die Wischtechnik als Markenzeichen Richters hervorstach, erkennt man auf dem Foto selbst das Gewebe der Leinwand. Dazwischen liegt viel Arbeit am Material.

Bis 14.1., Di – Sa 10 – 18 Uhr, Argentinische Allee 30.

Auf den Fotos von Peter Hujar scheint es immer Herbst zu sein. Allerdings ein milder, im frühen Oktober, wenn die Sonne noch kräftig ins Studio drängt und sich zart auf den Gesichtern der porträtierten Künstler und Transvestiten der New Yorker Downtown verfängt. Doch das ist Trug, der Schein heller Lampen, mit denen Hujar seine Fotos ungeheuer weich ausgeleuchtet hat. Er ist am 26.11.1987 an Aids gestorben. Die Retrospektive in der daad- Galerie zeigt mehr in Themengruppen denn chronologisch, wie sich der Stil des 1934 als Sohn russischer Emigranten geborenen Hujar entwickelt hat. Seine ersten Motive waren die Kühe der Großeltern, später kommen Pferde und Gänse hinzu. Sie lächeln. Wie ein historischer Rahmen begleiten Namen à la Diane Arbus, August Sander oder eben auch Robert Mapplethorpe die Biographie. Von allen unterscheidet Hujars Studien und Nahaufnahmen aber diese Wärme, die zunächst gar nicht zur Vita passen will. Mode- und Werbeaufnahmen, dann ab 1966 unter dem Einfluß von Richard Avedon Aufträge für Harper's Bazaar. An seinem künstlerischen Werk hat Hujar jedoch schon seit den 50ern gearbeitet. Bei seinen Italienreisen entstehen Fotos der Katakomben in Palermo, die er erst 1976 unter dem Titel „Portraits in Life and Death“ veröffentlicht. Neben klassischen Vanitasbildern von Gerippen und blanken Schädeln zeigt Hujar hier Fotos aus dem Freundeskreis: eine vergrübelt auf dem Sofa liegende Susan Sontag, ein melancholisch dreinschauender Robert Wilson, Candy Darling auf dem Sterbebett.

Hujar fotografiert nicht, er schaut zu. Nur selten sind Bilder der Society dermaßen intim, selbst Drag Queens sehen bei Hujar aus, als wäre aller Glamour eine dünne, schützende Schale. Stonewall lag kaum zwei Jahre zurück, noch war Homosexualität kein gesellschaftlich befördernswürdiges Paradigma, sondern eine Art zu leben. Unter vielen.

Bis 28.1., täglich 12.30 – 19 Uhr, Kurfürstenstraße 58.

Auch die Arbeiten von Christiane Möbus in der Galerie Anselm Dreher haben mit Biographie zu tun. Die sieben großformatigen Fotos sind wie Markierungen des Alters am Wegesrand entstanden. Möbus fotografiert streng am Körper vor sich hinab den Blick auf die eigenen Füße, deren Adernetz mit den Jahren als Lebenszeit mehr und mehr hervortritt. Ob zur Ruhepause im Gras oder auf weißem Stoff im Atelier nachgestellt: das Bild als Maßeinheit, wie eine Waage.

„Geboren am 11.4.1947“ steht einem Foto zur Seite, das ihren schlanken Spann in roten Schuhen zeigt. 1995 heißt ein Bild aus der gleichen Perspektive „Papillon“, jetzt trägt sie Sandalen, und an den Füßen sind kaum merklich, aber eben doch sichtbar, acht weitere Jahre vergangen. Auch das bunte Gesteck vom Geburtstag ist nun auf zwei auseinanderklaffende Mohnblumen geschrumpft. Bei aller Reduktion geht es Möbus gleichfalls um den Rhythmus in diesem Wandel.

Dafür hat sie in einem dritten Raum 60 Lampen installiert, von denen einige wenige nach einer Zeitschaltuhr brennen. Ab und an klickt es in dem Wust aus Kabeln, Nachtisch- und Schreibtischlampen. Dann geht ein Licht aus, doch am Gesamtbild ändert sich nicht viel, wenig später springt an anderer Stelle ein alter Globus oder die Milchglaskugel aus den siebziger Jahren wieder an. Es ist das unaufhörliche Zusammenspiel dieser Dinge, in dem die Zeit überdauert. Schön, daß man mit all den Steckdosen und Schaltern auch den Strom dahinter sieht.

... ALs ich das Licht der Welt erblickte, bis 27.1., Di – Fr 14 – 18.30, Sa 11 – 14 Uhr (23.12. Bis 2.1., telefonische Vereinbarung: 8835249), Pfalzburger Straße 80.

Wenn selbst in Filmen mit Whitney Houston bloß Anrufbeantworter miteinander sprechen, dann sind die Medien ins Leben vorgedrungen. Trotzdem ist die Rede vom Cyberspace stets verdächtig, das Wort der Aufklärung durch grelle Werbesprüche ersetzen zu wollen. Virtual Reality ist für die Techno-Disco, und überhaupt gibt es kein Bewußtsein im Falschen. Zögerlich widmet sich die NGBK bis zum 28.1. dem „Telematischen Raum“: Wie hat die elektronische Revolution unser Verhältnis zu Raum und Zeit verändert? Nun, stoßen kann man sich trotz der vielen Metaphern von Auflösung, Ferne, etc. Auch hier an allen Ecken und Enden. Die Überwachungsinstallation der New Yorkerin Julia Scher besteht aus einem schweren Stahlsofa, einem Gerüst mit drei Monitoren und allerlei Cinch-Steckern, die ums Gerät baumeln. Ein bißchen Mad Max für Fernsehgucker, kaum weniger archaisch als die Skulpturen der Dead Chickens.

Scher läßt mit einer winzigen Kamera, wie sie für Hausflure gebaut werden, den Besucher in eine Schleife aus vorproduzierten Verhörsfetzen und seinem realen Abbild treten. Daneben weist ein hübscher Rohrstuhl aus Stahl darauf hin, daß der eigentliche Wächter gleich wiederkommt. So ist man allein mit dem Monstrum wie bei Kafka vor den Toren des Gesetzes. Richtig rein kommt man in die merkwürdig religiöse Installation jedenfalls nicht.

Bei Monica Bonvicini muß man hingegen eine künstlich in den Raum gesetzte Klotüre öffnen. Dahinter befindet sich von grauen Rigips-Platten umrahmt das Video einer Schauspielerin, die mit der Wand masturbiert. Was den Widerspruch zwischen öffentlichem Raum und Intimsphäre freilegen soll, bleibt zu versöhnlerisch ans Individuum gebunden, das sich hier still am Winkel rubbelt. In Klappen geht es anders, flotter und kollektiver her.

Zuletzt hat Dagmar Demming eine Arbeit über Sprache mit 16 Lautsprechern in den Raum gehängt, auf denen wechselseitig deutsche Dialekte zu hören sind. Die Menschen schimpfen: „Gott sei dank, daß ich nicht so bin wie die anderen.“ Sächsisch, fränkisch, hessisch, platt. Leider wird das scharfe, akustische Labyrinth mit dem Verweis auf die Bibel überfrachtet. Dort findet sich unter Lukas, 18. 9 – 14 das Gleichnis über Zöllner und Pharisäer, von denen sich ein jeder auf Erden erniedrigen soll, damit Gott ihn erhöht. Hier sind es halt Brüder und Schwestern in Ost und West, die ohneeinander nach oben wollen.

Täglich (außer 24., 25., 26., 31., und 1.1.) 12 – 18.30, Oranienstraße 25 Harald Fricke