„Vater ging Fenster putzen“

■ Fünf GymnasiastInnen aus dem brandenburgischen Oranienburg streiten: Abbau oder Umbau des Sozialstaates? „Bei niedrigeren Löhnen braucht man doch mehr Wohngeld“

taz: Kriegen die Armen und Arbeitslosen zuwenig Hilfe, oder soll man die Sozialleistungen kürzen?

Gary: Ich bin der Meinung, daß wir ein zu starkes soziales Netz haben. Ich kenne eine kinderreiche Familie, die Wohngeld und alle möglichen Zuschüsse bekommt, wenn man sieht, wieviel Geld die kriegen, dann ist das doch extrem.

Liane: Aber du mußt doch überlegen, wenn das eine kinderreiche Familie ist, dann brauchen die einfach mehr Geld.

Susanne: Sicherlich, aber da wird auch eine ganze Menge verpulvert. Ich habe in meinem Bekanntenkreis zum Beispiel eine Familie: Die Eltern gehen nicht arbeiten und durch die Kinder haben die ein bombiges Leben. Die haben keine Lust zu arbeiten, dabei sind die erst Mitte 20.

Björn: Ich würde es falsch finden, wenn man jetzt bei den Kindern sparen würde. Ich würde einschneidende Maßnahmen in das Sozialsystem erstmal nicht befürworten, weil die Einkommen im sozialen Netz ja schon relativ niedrig sind. Wenn man das jetzt noch beschneiden würde, wäre die Kluft zwischen arm und reich ja noch tiefer. Man müßte den Leuten Arbeiten anbieten, so daß sie dann vor die Wahl gestellt werden: Entweder du nimmst jetzt diesen Job an oder es gibt Einschnitte.

Aber gibt es denn überhaupt diese Jobs? Die Arbeitsämter sagen, sie bekommen gar nicht genug Angebote von den Firmen.

Gary: In bestimmten Bereichen gibt es aber doch Defizite, bei den sozialen Diensten und in der Altenpflege zum Beispiel. Dann müssen die Leute eben in solche Bereiche gehen. Die ganze Gesellschaft funktioniert doch nur, wenn jeder seinen Beitrag dazu leistet.

Susanne: Ich habe ein Beispiel in der Familie. Mein Vater hat studiert, Pädagogik, und dann seinen Job als Sportlehrer verloren. Er war anderthalb Jahre arbeitslos, dabei hat sich nichts Neues mehr ergeben. Dann ist er Fenster put zen gegangen. Er hat sich aber in dem Job als Fensterputzer hochgearbeitet, hat einen Bereich übernommen. Er macht jetzt viel Organisation, vornehmlich Büroarbeit.

Liane: Viele kriegen aber einfach keine Arbeit. Wenn ich da an meinem Opa denke, der mußte in den Vorruhestand gehen, als die Firma aufgelöst wurde. Der hatte gar keine Chance. Da fühlt man sich auch nicht wohl, wenn man sein Leben lang gearbeitet und Verantwortung getragen hat, dann fällt man in ein Loch. Da fehlt einem der Sinn des Lebens.

Die Arbeitgeber behaupten immer, wenn die Löhne niedriger wären, gäbe es mehr Jobs und weniger Erwerbslose.

Yvonne: Wenn die Löhne niedriger wären, dann würden doch mehr Zusatzleistungen beantragt, Wohngeld zum Beispiel. Weil die Leute nicht mehr in der Lage sind, aus eigener Tasche ihren Lebensunterhalt zu bezahlen. Man sollte den Leuten schon die Möglichkeit geben, durch Arbeit ihr Leben selbst zu finanzieren, so daß sie nicht gucken müssen, wo sie woanders noch Geld herkriegen.

Die Unternehmer fordern auch immer wieder, der Kündigungsschutz solle gelockert werden, die Bezahlung müßte flexibler sein. Es sollte vor allem die Leistung des einzelnen zählen.

Björn: Dadurch werden doch nicht die Arbeitslosenzahlen verringert. Da findet doch nur eine Umschichtung statt, daß man sich dann Jüngere reinholt, die leistungsfähiger sein sollen. Das Problem ist doch, daß man ohne Abi nicht mal mehr in niedere Jobs reinkommt. Wenn man sich das anguckt: Bankkaufmann konnte man früher schon mit dem Abschluß nach der zehnten Klasse werden. Heute belegen diese Jobs schon alleine die Abiturienten. Wenn man heute nach der zehnten Klasse rausgeht, kann man auf den Bau gehen.

Die Gewerkschaften schlagen ein „Bündnis für Arbeit“ vor: Alle sollen ein bißchen auf Lohn verzichten, damit möglichst viele einen Job finden.

Liane: Den Vorschlag finde ich gut, aber das erfordert ein Umdenken der Leute. Wenn die daran gewöhnt sind, zu bestimmten Zeiten immer Lohnerhöhungen zu bekommen, dann müssen sie ihre eigenen Bedürfnisse einschränken zugunsten der Allgemeinheit.

Yvonne: Arbeitsplätze zu schaffen ist ja schön und gut. Bloß das darf ja nicht nur Beschäftigungstherapie sein, die Arbeit muß auch was erwirtschaften. Sonst haben wir Zustände wie zu Ostzeiten. Da war zwar keiner arbeitslos, aber die saßen im Betrieb und haben Schach gespielt.

Was würden Sie ändern, wenn Sie morgen Bundeskanzler wären?

Liane: Die Diäten senken.

Yvonne: Man muß für seine Kinder eine Zukunft sehen, daß die auch mal Arbeit finden.

Susanne: Genau, die Kinder müssen eine Chance haben.

Interview: Barbara Dribbusch