Thema: Jobs und Sozialleistungen am Standort Deutschland. In Deutschland läuft ein Großversuch. Auch Sie sind mit dabei. Die Regierung sagt, die Unternehmer sagen: Wir müssen sparen, sparen , sparen. Nur: Wer muß warum verzichten, wer gewin

Keine gute Werbung für den Kanzler: 3,5 Millionen Menschen waren im November arbeitslos gemeldet, 100.000 mehr als im Vorjahresmonat. Nix war's mit dem Aufschwung für die Arbeitslosen. Gleichzeitig brüten CDU-Finanzexperten über Plänen für neue Sozialkürzungen. Am 23. Januar treffen sich die Spitzen der Arbeitgeber und des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) beim Kanzler und seinen Ministern zum Gespräch über einen Beschäftigungspakt. Die Kernfrage der Verhandlungen lautet: Wer verzichtet auf welche Besitzstände?

„Die Reformschritte am Standort Deutschland gehen zu langsam voran“, hatte unlängst CDU-Wirtschaftsexperte Rainer Haungs gerügt. Wohl wahr. Unter „Reform“ versteht jede der Sozialparteien aber nur eins: den Verzicht der Gegenseite.

Wenn es nur um Verteilungsgerechtigkeit in Deutschland ginge, wären die Arbeitgeber in einer Bringeschuld. Die Nettoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen sind im Jahre 1994 und im ersten Halbjahr 1995 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um bis zu 18 Prozent gestiegen. Die Nettoeinkommen der West-Beschäftigten blieben dagegen in den entsprechenden Zeiträumen gleich, so der jüngste Verteilungsbericht des DGB-nahen WSI-Instituts. Die Hauptlast der hohen Arbeitslosigkeit und Frühverrentungen, die Bürde der Einheit – sie wird vor allem von den ArbeitnehmerInnen geschultert.

Die ArbeitgeberInnen verweisen jedoch im Gegenzug auf die im internationalen Vergleich hohen Lohn- und Lohnnebenkosten – und investieren jenseits der Grenzen. Nach Angaben der Deutschen Bundesbank flossen im Jahr 1994 rund 45 Milliarden Mark an Unternehmenskapital in Form von Krediten und Direktinvestitionen ins Ausland, doppelt soviel wie im Jahr zuvor. Die deutschen Facharbeiter hätten noch nicht begriffen, daß sie mit Kollegen im Ausland um Jobs konkurrierten, meinte unlängst Olaf Henkel, Chef des Industrieverbandes BDI. Obendrein schwächt die starke D-Mark den Verkauf von deutschen Gütern ins Ausland. Vor diesem Hintergrund hat IG-Metall-Chef Klaus Zwickel taktisch geschickt ein „Bündnis für Arbeit“ vorgeschlagen. Die IG Metall will sich in der Tarifrunde 1997 mit einer Lohnsteigerung in Höhe der Inflationsrate begnügen, wenn die Arbeitgeber jährlich – ab 1996 – 110.000 Jobs zusätzlich schaffen. Die Bundesregierung soll auf die Kürzungen bei der Arbeitslosenunterstützung und Sozialhilfe verzichten.

Der DGB hat den Bündnisvorschlag auf alle großen Wirtschaftsbereiche ausgedehnt und gleichzeitig abgeschwächt. DGB-Chef Schulte fordert nur noch eine „nennenswerte Anzahl neuer Arbeitsplätze“. Die Gewerkschaften seien bereit, dafür einen Beitrag der Arbeitnehmer einzubringen und die „tarifpolitischen Spielräume zu nutzen“. Vor allem ein Ausgleich von Überstunden durch Freizeit wird vorgeschlagen.

Die Chancen für ein konkretes „Bündnis“ in der Metallindustrie stehen schlecht. In einer Branche, die massiv rationalisiert, werden im nächsten Jahr kaum zweieinhalb Prozent mehr Jobs herbeigezaubert. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall geht gar von einem Abbau in Höhe von 110.000 Stellen aus. „Vorleistungen“ in Form von neuen Jobs seien „irreal“, betont Klaus Murmann, Präsident des Arbeitgeber-Dachverbandes BDA. Realistischer wären Verabredungen mit den Gewerkschaften, künftig Überstunden möglichst nur noch in Freizeit auszugleichen. Im Schnitt schieben die ArbeitnehmerInnen in Deutschland 1,5 Überstunden pro Woche. Abzüglich des Produktivitätsgewinnes kämen rein rechnerisch fast zwei Prozent mehr Arbeitsplätze heraus, wenn die Überstunden in neue Jobs umgewandelt würden.

Einzelne Betriebe sind schon vorgeprescht. Beim hessischen Automobilzulieferer Ymos haben neue Regelarbeitszeiten und der Freizeitausgleich für Überstunden schon zu befristeten Neueinstellungen geführt. Bei Babcock-Borsig in Berlin werden seit der Einführung von entsprechenden „Arbeitszeitkonten“ immerhin die Auszubildenden übernommen.

Bei einer Arbeitsumverteilung mit Hilfe von Überstundenabbau sollen vor allem die Beschäftigten zurückstecken. Die Arbeitgeber wollen eine Samstagsüberstunde nur durch jeweils eine Freizeitstunde ausgleichen. Die Gewerkschaften möchten dafür jedoch bis zu anderthalb Freizeitstunden haben, was den bisher geltenden Zuschlägen entspricht.

Nach einem Vorschlag des Maschinenbau-Verbandes VDMA soll ein Teil der Tariferhöhungen gleich in einen „Gemeinschaftsfonds neue Arbeitsplätze“ fließen. Mit dessen Hilfe würden dann Existenzgründungen und Innovationen gefördert.

Die Bundesregierung verfolgt beim Poker um Jobs und Geld ihre eigenen Interessen: Sie will vor allem an den Kosten der Arbeitslosigkeit sparen. Im Brennpunkt des Gesprächs am 23. Januar steht der Vorruhestand. Mit rund 220.000 Mark belastet ein Frührentner die Sozialkassen. Das soll nach Blüms Willen anders werden: Wer sich mit 60 in die Rente verabschiedet, bekäme weniger Ruhegeld. Und wer mit 55 Jahren und einer Abfindung entlassen wird, erhielte weniger Arbeitslosengeld als bisher. Blüm ist auf die Mithilfe der Tarifpartner angewiesen. Denn wenn die Älteren nicht mehr freiwillig gehen, würden künftige Entlassungen erst mal die Jüngeren treffen, hat der VW-Konzern schon angedroht.

Die Sozialexperten von Regierung und Tarifpartnern basteln an einem Kompromiß. „Altersteilzeit“ ab 55 Jahren mit Subvention vom Arbeitsamt ist geplant. Ab 58 Jahren soll eine Teilrente möglich sein. Aber was zahlen die Arbeitgeber? Welche Rentenversicherungsbeiträge für ihre Teilzeiter? Spielraum gibt es nur für kleine Kompromisse. Denn beim großen Poker um Jobs und Geld hat die Arbeitnehmerseite wie eh und je das schwächste Blatt. Barbara Dribbusch

Porträtfotos (von links): vario press; J. H. Darchinger; Reuter